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AUF Schlag: Sicheres Geld

Rainer Moritz lässt Jonathan Littell links liegen

Na, wie viele Seiten haben Sie schon? Sind Sie dem Mediendruck erlegen und vorgestern in die nächstbeste Buchhandlung geeilt, um den Erstverkaufstag von Jonathan Littells „Die Wohlgesinnten“ nicht zu verpassen? Und jetzt liegt der 36-Euro-Wälzer mit seinen 1400 Seiten vor Ihnen, und Sie spüren diesen inneren Druck, sich sofort an die Lektüre zu machen? Ich bin hingegen fein raus und denke gar nicht daran, mich auf Knopfdruck mit den fiktiven Erinnerungen eines SS-Obersturmführers namens Aue zu beschäftigen. Die paar Seiten Vorabdruck in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ waren ermüdend und sensationsheischend genug, ganz zu schweigen vom dazu pompös eingerichteten „Reading Room“ (ein Anglizismus wie von der Deutschen Bahn ersonnen), wo auf Gedeih und Verderb tagtäglich eine brennend heiße Frage („Was geht uns Max Aue an?“) gestellt und beantwortet werden muss.

Nein, das können die ohne mich machen, da lese ich lieber die schönen neuen Romane von Dirk Kurbjuweit, Jenny Erpenbeck oder Martin Walser und beginne mit den mentalen Vorbereitungen auf die Fußball-Europameisterschaft. Ehrlich gesagt, habe ich in den vergangenen Jahren keinen Augenblick darauf gewartet, dass mir ein junger Franzose die Weltsicht eines Nazitäters vermittelt, eher darauf, dass sich ein deutscher Autor endlich daranmacht, einen epochalen Fußballroman zu schreiben, der es mit Nick Hornbys „Fever Pitch“ aufnimmt. Ein opulentes Rasenepos, das Handkes „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ vom Platz fegt und zeigt, wo sich die wahren Dramen des 21. Jahrhunderts ereignen.

Ein Blick auf die Frühjahrskataloge der Verlage hat mich jedoch nicht froh gestimmt: nirgendwo, so will es scheinen, der ultimative Strafraumroman! Immerhin kam Hoffnung auf, als mir das aktuelle „Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel“ in die Hände fiel. Dort fordert die Autoren- und Verlags-Agentur, Herrsching, Verlage zu Eilofferten auf, für ein Manuskript, das offenbar nur darauf wartet, gedruckt zu werden: „Der Krimi zur Fußball-Europameisterschaft. Hochaktuell, sachkundig, spannend: Wettbetrug, Spielererpressung, Entführungen. Bunte Handlung, intime Lokalkenntnis, Humor. Sicheres schnelles Geld.“

Das ist es! Unter den zahlreichen von dürftigen Umsätzen gebeutelten Verlegern wird sich doch einer finden, der diesen Wahnsinnsknüller in Windeseile auf den Markt wirft. „Sicheres schnelles Geld“ gibt es ja nicht mal mehr in Liechtenstein. Vielleicht schlägt Jonathan Littells deutscher Verlag zu. Reichlich gezahlt für die Lizenz der „Wohlgesinnten“ haben die ja, und wenn der Rummel nicht nur mich kalt lässt und die Buchstapel im Handel nicht schrumpfen sollten, brauchen die bald genau das: sicheres schnelles Geld.

Rainer Moritz

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