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Kultur: Auf zum Traktorstützpunkt

„Zugewinngemeinschaft“: Die fünfte Werkleitz-Biennale vereint Kunst und Film

Von Katrin Wittneven

Nach über zwei Stunden verlässt der Reisebus die Autobahn und passiert kleine Ortschaften wie Calpe und Barby - die nächstgrößere Stadt Magdeburg ist rund vierzig Kilometer entfernt. Vorbei führt der Weg an Feldern, Baustoffhandlungen und Wahlplakaten für die Schill-Partei, die neue Wege für Sachsen-Anhalt verspricht. Schon ein Dorf weiter irritiert ein Plakat mit einem fröhlichen FDJ-Mann und dem Slogan „Die DDR, das sind wir“ und spätestens als an der nächsten Laterne Willi Brandt mit „Deutsche, wir können stolz sein auf unser Land“ für die SPD wirbt, hat die Kunst die Wirklichkeit eingeholt. Für ihr Projekt „Modell Deutschland“ nämlich haben die Berliner Martin Conrath und Marion Kreißler Reproduktionen von Wahlplakaten aus den Siebzigerjahren im Landkreis Schönbeck aufgehängt.

Das Ziel der Bustour ist erreicht: die Werkleitz Biennale, ein fünftägiges Medienkunst-Festival auf dem platten Land. Aus dem Shuttlebus, der täglich zwischen Berlin und Tornitz bei Werkleitz pendelt, steigen Künstler und Journalisten und blinzeln in der sengenden Mittagshitze. Ihre hippen Turnschuhe und coolen Sonnenbrillen wirken hier so unpassend, dass zwei einheimische Mädchen, die im rosa Bikini zum Baggersee gehen, beim Anblick der schwitzenden Städter kichern müssen.

Dabei kommen seit dem Auftakt 1993 regelmäßig Filmemacher, Künstler und Kuratoren in den idyllischen Elbe-Saale-Winkel, und die Biennale ist als größte Veranstaltung ihrer Art in den neuen Bundesländern mit einem politischen Programm längst zum Geheimtipp geworden. Unter dem Titel „Zugewinngemeinschaft“ haben sich in diesem Jahr zehn Kuratoren zusammengefunden und rund einhundert Künstler und Filmemacher aus zwanzig Ländern eingeladen, die in den Nachbardörfern Werkleitz und Tornitz ihre Werke zeigen. Die Gebäuden lassen noch heute Rückschlüsse auf das dörfliche Leben in der DDR zu: Heimatverein, Konsumgebäude, Sportlerheim, Jugendclub, Maschinen- und Traktorstützpunkt. Daneben gibt es als zentralen Treffpunkt die Gaststätte „Zur Post“, in der bis spät in die Nacht das Filmprogramm läuft.

Offene Grenzen?

Die Vorgaben der Kuratoren waren konkret: Als „metaphorischer Bezugsrahmen“ wurde den Künstlern der Film „Whity“ von Rainer Werner Fassbinder geschickt, ein Familiendrama aus dem Jahr 1970 um den illegitimen schwarzen Sohn eines amerikanischen Gutsbesitzers. Ein zweiter Themenstrang sind die „10. Weltfestpiele der Jugend und Studenten“, die 1973 in der DDR zur internationalen Begegnungsstätte wurden und für den positiven Utopismus der DDR standen. Die Fragestellung „Offene Grenzen?“ gaben die Kuratoren als drittes Bezugsfeld den eingeladenen Künstlern.

Erstaunlich nah sind viele der Künstler an diesen Vorgaben geblieben. In der Dorfkirche ist etwa eine dreiteilige Videoinstallation von Branwen Okpako zu sehen, in der die Nigerianerin mit einem Schauspieler zu sehen ist, während sie gemeinsam den Film „Whity“ ansehen. Die Belgierin Manon de Boer schickte Bücher von Fassbinder oder der Black-Panther-Aktivistin Angela Davis, von der es ein Foto mit Erich Honecker auf den zehnten Weltfestpielen gibt, an verschiedene Personen, die bei der Lektüre wichtige Textstellen gekennzeichnet haben. Der 1983 geborene Niederländer Janko Vook entwickelte das Computerspiel „Whity Ego-Shooter“, in dem der Spieler selbst zum Vollstrecker in der Schlussszene des Films wird.

Gleiten manche der Werke ins Illustrative ab, wie etwa die per Video aufgezeichnete Befragung von Asylbewerbern nach ihrer Lebenssituation, überzeugen vor allem Arbeiten, die Themen wie Utopie und Wirklichkeit breiter angehen. Das Frankfurter Duo Wiebke Grösch und Frank Metzger dokumentiert das Phänomen der Olympischen Dörfer, und stellt der offiziellen Darstellung der IOC die vielfach trostlose Wohnsituation heutiger Bewohner gegenüber. In einem von vier Containern, die wie Fremdkörper auf einem Feld stehen, kombiniert die indische Videokünstlerin Madhusree Dutta Impressionen einer Autofahrt durch Bombay mit Information zur dortigen Stadtentwicklung.

Techniken der Recherche und der Dokumentation dominieren auch im Filmprogramm, zu dessen Auftakt Aussschnitte aus Dorothee Wenners Projekt „Unser Ausland“ gezeigt wurden. Die Berliner Filmemacherin hat zehn in Deutschland lebende „Ausländer“ gebeten, als Experten ein deutsches Phänomen zu kommentieren. Da referiert der indische Innenarchitekt Jehangir Modi über deutsche Gemütlichkeit oder der russische Schriftsteller Wladimir Kaminer erläutert, warum deutsche Männer so gerne russische Frauen „retten". Selbst wenn dies ab Mitte August auch in Berlin zu sehen sein wird, lohnt schon jetzt der Sommertrip in die deutsche Ostprärie – Zugewinn garantiert.

5. Werkleitz-Biennale. Bis 4. August, täglicher Busshuttle von Berlin nach Werkleitz (10 Euro), Weitere Informationen unter www.werkleitz.de

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