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Kultur: Aufbruch in die Moderne

Heute eröffnet die Berlinische Galerie: Die Stadt hat wieder ein Museum des 20. Jahrhunderts

Wie ein mehrfacher Blitzschlag fahren die stählernen Röhren des Bildhauer-Paares Matschinsky-Denninghoff in den gelb-schwarz gerasterten Boden, auf dem 126 Künstlernamen zu lesen sind. Die Kunst gibt hier ein Donnerwetter, an einem Ort, wo man sie kaum vermutet hätte: inmitten eines Wohngebiets. Und doch verbirgt sich hinter der unspektakulären Industriefassade des kubischen Baus die nächste Überraschung. Ausgerechnet hier hat die heute eröffnete Berlinische Galerie ihre Heimstatt gefunden (siehe Tagesspiegel-Sonderseite vom 19.Oktober), nachdem sie auf ihrer siebenjährigen Quartiersuche zunächst so extravagante Adressen wie das Alte Postfuhramt in Mitte oder die ehemaligen Eiskeller der Schultheiß-Brauerei auserkoren hatte.

Das Postfuhramt erwies sich als unerschwinglich, die Schultheiß-Brauerei wurde zum Pleiteobjekt des ambitionierten Investors. Nun also ein ehemaliges Glaslager in der Alten Jakobstraße, das einer Supermarkt-Kette schon versprochen war. Ein Glücksfall, wie sich jetzt herausstellt. Für nur 18,7 Millionen Euro – jene Summe, die als Bürgschaft bei der Deutschen Bank hinterlegt worden war, kurz bevor das Schultheiß-Projekt platzte – wurde durch die DIBAG Industriebau AG innerhalb von nur zwölf Monaten umgesetzt, was über Jahre unerreichbar schien. Die Berlinische Galerie kann endlich ihre Schätze zeigen, ja erstmals in ihrer 29-jährigen Geschichte als Herrin im eigenen Hause agieren. Da übersieht man höflich die hässliche Rasterdecke, den grauen Estrich und die im Obergeschoss eher an Messebau erinnernden Zwischenwände. Die bescheidene Museumsbox, in der sie nun residiert, erhöht vielmehr das Überraschungsmoment angesichts der großartigen Sammlung, die sich hier auf 4600 Quadratmetern ausbreiten kann.

Wer je an der Existenzberechtigung der Berlinischen Galerie zu zweifeln wagte – nicht nur zu Gründungszeiten, auch in einem vom Senat in Auftrag gegebenen Kunst-Gutachten Mitte der Neunziger wurde ihre Notwendigkeit in Frage gestellt –, wird nun eines Besseren belehrt. Berlin gewinnt ein Museum zurück, von dem es wohl nie ganz begriffen hat, was es eigentlich an ihm besitzt. Jede größere bundesrepublikanische Kommune verfügt über ein Stadtmuseum, aber keines hat einen solchen Fokus auf die wichtigen künstlerischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts. Die gigantische 60 mal 60 Meter große Ausstellungshalle mit eingezogenem Galeriegeschoss funktioniert wie ein Kaleidoskop der jüngeren Kunstgeschichte. Direktor Jörn Merkert hat mit seinen Kuratoren als Präsentationsform zwar die chronologische Abfolge gewählt, aber durch überraschende Sichtverbindungen von einer Galerie zur anderen erzählt sich die Geschichte plötzlich mit ganz neuen Perspektiven.

In die vermeintlich heile Salon-Welt Ende des 19. Jahrhunderts, die Idylle vom Grunewaldsee, wie sie Leistikow malte, drängen sich als böse Vorahnungen die getuschten Kriegsvisionen eines Ludwig Meidner. Lässt man die Augen von seinem Inferno-Bild „Jüngster Tag“ (1916) wiederum ins Erdgeschoss wandern, so ist auf einen Blick zu erfassen, was weitere vierzig, fünfzig Jahre später Malerei in Berlin ausmacht. Georg Baselitz, Eugen Schönebeck und Marwan antworten in ihren zerquälten Selbstporträts auf die tonangebenden Abstrakten der Nachkriegszeit mit einer neuen, rauen Gegenständlichkeit. Keine zwei Jahrzehnte später toben sich malerisch die „Neuen Wilden“ aus, die ihre Anregungen wiederum bei den Expressionisten Kirchner, Heckel, Schmidt-Rottluff suchten – in der Berlinischen Galerie sind sie mit großartigen Leihgaben des Brücke-Museums vertreten sowie mit Papierarbeiten der Sammlung Karsch.

In diesen Querverbindungen von einer Galerie, einem Kabinett zum nächsten hat die Berlinische Galerie ihre großen Momente. Solch Augen öffnende Bezüge hat man andernorts noch nicht gesehen, wo Epochen tunlichst separat verhandelt werden. Und plötzlich ist ein bestimmter Ton, ja eine Berlinische Note durch die Jahrzehnte wahrnehmbar. Das Raue, Wilde kehrt zu allen Zeiten wieder, ein geradezu brutaler Realismus, der sich neben der Malerei und Bildhauerei noch ungeschminkter in der Fotografie offenbart. Auch hier hat die Berlinische Galerie eine ihrer besonderen Stärken.

Das Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, so die vollständige Bezeichnung der Institution, nimmt seine Namensgebung wörtlich und durchmischt die Medien auf erhellende Weise. Eine Trouvaille ersten Ranges waren vor Jahren die bislang unbekannten Fotografien Heinrich Zilles. Seine Momentaufnahmen von buckligen Marktfrauen, von im Dreck spielenden Kindern bilden das Korrektiv zum pompösen Gesellschaftsgemälde des Hofmalers Anton von Werner, das die „Enthüllung des Richard-Wagner-Denkmals in Tiergarten“ (1908) zeigt. Solch großartige Gegenüberstellungen, Ergänzungen gelingen immer wieder. Fotoserien von Marta Astvalck-Vietz, Umbo, Lotte Jacobi in den Zwanzigern, die geradezu schmerzlichen Beobachtungen Michael Schmidts in der Punkerszene, die im Hause betreuten Nachlässe eines Erich Salomon weisen die Fotografieabteilung der Berlinischen Galerie als eine der besten aus. Dagegen kommt die Architektur nur punktuell zur Geltung, dann jedoch mit Glanzlichtern wie den Modellen des Mendelssohn-Turmes, der Sternkirche von Otto Bartning oder Naum Gabos Palast der Republik.

Sieben Jahre Abstinenz vom Ausstellungsbetrieb der Stadt – abgesehen von „Zwischenspielen“ im Kunstforum der Grundkreditbank – sind für ein Museum eine lange Zeit. Die Sorgen um eine Wiedereingliederung der Berlinischen Galerie erweisen sich angesichts des großartigen Bestandes als unbegründet. Natürlich macht das Landesmuseum einer Nationalgalerie noch lange keine Konkurrenz, aber was es an Werken der Goldenen Zwanziger zu bieten hat, etwa an Collagen Hannah Höchs, ganzen Ensembles wie der Dada-Messe oder dem Prounen- Raum El Lissitzkys, der Malerei und Skulptur verbindet, lohnt allemal den Besuch. Entdeckungen inklusive: Zum ersten Mal ist Alexander Camaros Zyklus „Hölzernes Theater“ zu sehen, der nach Jahren des Ausstellungsverbots durch die Nazis mit dieser Serie wieder zu malen begann. In diesen Interieurs, inspiriert vom Hölzernen Theater Gothas, wo Camaro als Tänzer aufgetreten war, verdichtet sich die ganze Tristesse der Nachkriegszeit.

Über die Schwerpunktsetzung in der Folgezeit lässt sich schon eher streiten. Wolf Vostell auf 200 Quadratmetern auszubreiten, ist übertrieben, die räumliche Separierung ehemaliger DDR-Künstler 15 Jahre nach dem Mauerfall kaum noch nachvollziehbar, zumal sich Verbindungen zwischen Ost und West herstellen ließen. Eine Cornelia Schleime, die hier mit einem Gemälde von 1996 vertreten ist, dürfte sich für die Rückverweisung in die DDR bedanken. Überhaupt die Kunst der Neunzigerjahre: Sie überrascht und enttäuscht zugleich. In der Berlinischen Galerie gehört ihr das Entree, eine Mini-Ausgabe der Londoner Tate-Turbinenhalle. Der elf Meter hohe lang gestreckte Saal ist exzellent bespielt mit Svetlana Kopystianskys „Bücherturm“, Axel Liebers Riesentisch und einer Bodeninstallation von Catrin Otto, an den Wänden ergänzt durch Beispiele der in Berlin hervorragenden konzeptuellen Fotografie. Und doch vermisst man jene Künstler, auf die Berlin in den Neunzigern so anziehend wirkte. Malerei, die gerade hier ihre Rückkehr zelebrierte, fehlt fast komplett. Offensichtlich hat die Berlinische Galerie ausgerechnet dort den Anschluss verloren, wo ihr eigentlicher Auftrag besteht: in den Ateliers, in denen die Kunst der Stadt entsteht. Das Ungleichgewicht gegenüber den Stars der Moderne fällt umso deutlicher ins Auge. Jetzt aber, wo die Berlinische Galerie wieder ein eigenes Haus besitzt, müsste sie – wenn schon nicht mit neu angekauften Werken – so doch mit Sonderausstellungen nicht nur die Geschichte, sondern die Lebendigkeit auch der aktuellen Kunst Berlins reflektieren.

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