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Kultur: Aufgeben gilt nicht

Frank Abt erzählt in der Box des Deutschen Theaters Kapitulationsgeschichten

Erinnert sich noch jemand an die unselige Theatermode aus den neunziger Jahren, bei der Schauspieler an die Rampe traten und ihre persönlichen Probleme („Eigentlich wollte ich ja Popstar werden. Hat aber – upps! - irgendwie nicht geklappt“) in Mikrofone sprachen, während aus den Boxen atmosphärische Hintergrundmusik knisterte, und das war dann der als wahnsinnig avantgardistisch verkaufte Theaterabend? Da steckte das so genannte dokumentarische Theater noch schwer in der Pubertät, hing also noch dem selbstverliebten Glauben an, mit der Verhandlung der eigenen Theatermacherbiografien so etwas wie Leben, zumindest aber Lebensgefühl auf die Bühne holen zu können.

Inzwischen hat sich einiges geändert. Viele Theatermacher sind weniger an den eigenen und mehr an den Geschichten anderer interessiert, und das so genannte dokumentarische Theater – ob etwa von Rimini Protokoll oder von Hans-Werner Kroesinger – gehört zum interessantesten überhaupt. Was nicht nur an den Inhalten liegt, sondern auch an der Haltung der Regisseure. Das Eigentliche ist der Stoff, und die Regie, das Arrangement hat – man scheut sich das Wort zu benutzen – dienende Funktion.

Auch Frank Abt ist ein bescheidener Arrangeur, der in kleinen, unaufgeregten, aber trotzdem gewichtigen Abenden wirklich Erlebtes für die Bühne aufbereitet. Zusammen mit dem Journalisten Dirk Schneider sammelte er Berliner Lebensgeschichten zum Thema Glauben und ließ sie von drei Schauspielern in der Box des Deutschen Theaters mehr sprechen als nachspielen. Jetzt folgt Teil zwei der „Geschichten von hier“. Thema: „Kapitulation“.

Der spartanisch eingerichtete Raum ist der gleiche wie im ersten Teil. Auch der famose Alexander Khuon ist wieder dabei und berichtet in wechselnden Rollen zusammen mit Anna Blomeier und Michael Gerber von Niederlagen, platzenden Lebensträumen und einschneidenden Erfahrungen, die dem Leben eine andere Richtung gaben. Das ist mal rührend kurios, wenn es um ein älteres Ehepaar geht: der Mann hat eine Art Schlafkrankheit und nickt in den unmöglichsten Situation ein, während die Frau noch immer darunter leidet, als Viertklässlerin von Mitschülern gemobbt worden zu sein. Das ist grausam in seiner Normalität, wenn Anna Blomeier als junge Mutter berichtet, wie sie von ihrem Mann verlassen wurde, den sie, wie sich herausstellt, aber ohnehin nicht geliebt hat.

Die Lebensgeschichten der Durchschnittsmenschen werden kontrastiert von den Erfahrungen der Politikerin Heide Simonis, die, wie es scheint, ihre Nichtwiederwahl als Ministerpräsidentin in Schleswig Holstein als traumatisch erlebte. Einmal wird zu „The winner takes ist all“ von Abba getanzt, ansonsten beschränken sich die Regieanweisungen wohltuenderweise darauf, zwischen den Szenen das Bühnenzimmer zu drehen. Die Magenverkleinerung eines Übergewichtigen, das Coming-Out eines Transsexuellen – die Einschnitte werden existentieller, und immer mehr bedeutet Kapitulation Neuanfang statt Scheitern.

Beklemmender Höhepunkt ist der Bericht eines Pädophilen. Schamerfüllt ringt Alexander Khuon um Worte, beschreibt das Elend der Sucht, im Internet „Kinderpornografie zu konsumieren“, der er solange nachging, bis plötzlich die Polizei vor der Tür stand und damit das Gebäude aus Verdrängung und Selbstrechtfertigungen zum Einsturz brachte. Inzwischen macht der Mann eine Verhaltenstherapie an der Charité – und kämpft jeden Tag aufs Neue. „Für meine Veranlagung kann ich nichts. Aber für meine Handlungen. Ein Pädophiler ist nicht automatisch ein Täter. Da muss auch die Gesellschaft noch viel lernen.“Andreas Schäfer

Wieder am 14. und 22.9.

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