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Denis Scheck

© ARD

Aufgeschlagen - Zugeschlagen: Eierlöffel und Kartoffelstock

Denis Scheck, Literaturredakteur beim Deutschlandfunk, bespricht einmal monatlich die "Spiegel"-Bestsellerliste, abwechselnd Belletristik und Sachbuch – parallel zu seiner ARD-Sendung "Druckfrisch".

10) Melinda Nadj Abonji: Tauben fliegen auf (Jung und Jung, 314 Seiten, 22,00 €)

Im Mittelpunkt von „Tauben fliegen auf“ steht eine Familie aus der ungarischen Minderheit Serbiens, die in die Schweiz auswandert und dort ein Café eröffnet. Voller Stolz schreibt die Neuschweizer Familie ihr erstes Mittagsmenü auf eine Kreidetafel und bringt dabei vor lauter Anpassungseifer mit „Kartoffelstock“ und „Rübligemüse“ gleich zwei Helvetismen in drei Zeilen unter. Ausgezeichnet mit dem Deutschen Buchpreis, steht Melinda Nadj Abonji ganz zu Recht auf dieser Bestsellerliste. Ein starkes Buch über den Preis der Assimilation.

9) Cordula Stratmann: Sie da oben, er da unten (KiWi, 204 S. 13.95 €)

Schöne Idee: Ein Mann erdrosselt seine Frau, worauf diese vom Himmel aus beobachtet, was er sich auf Erden einbrockt. Weil Stratmann den Himmel als spießige Hölle schildert, liest sich das vergnüglich. In jedem Fall aber gewinnt sie den ersten Preis im Wettbewerb um den originellsten Satz in einem Unterhaltungsroman: „’Was ist denn das?!’, unterbrach Marzahn ihre Gedanken, zog die Hand aus einer ihrer Darmschlingen heraus und hielt einen Eierlöffel aus Perlmutt in der Hand.“

8) Tommy Jaud: Hummeldumm (Argon Verlag, 320 S., 13.95 €)

Warum bloß stimmt mich Jauds läppische Geschichte um deutsche Urlauber in Afrika und eine Eigentumswohnung in Köln so aggressiv? Es muss mit der Zweifellosigkeit zu tun haben, mit dem dauernden Appell zum Mitklatschen, mit Jauds Und-jetzt-alle-Gestus. Schlechtes Buch.

7) Ildikó von Kürthy: Endlich! (Wunderlich, 320 S., 17.95 €)

Das Wunder der menschlichen Geburt ist immer wieder staunenswert. Von Kürthy fasst es in ihrem Roman über die Midlifecrisis einer Vierzigährigen in dem eindrucksvollen lyrischen Bild: „Das ist ja, als würde man einen Medizinball kacken!“ Leider hält der Roman diesen hohen Ton nicht konsequent durch, sondern wird stellenweise derb und vulgär.

6) Jonathan Stroud: Bartimäus – der Ring des Salomo (Deutsch von Katharina Orgaß, Gerald Jung, cbj, 480 S., 18.99€)

Dieses Jugendbuch über einen eitlen Dämon am Hofe König Salomos ist durch und durch zynisch, macht sich über Heimat, Staat und Religion lustig und stellt gottverliehene Autorität infrage. Ein Jugendbuch nach meinem Geschmack.

5) Jonathan Franzen: Freiheit (Deutsch von Bettina Abarbanell und Eike Schönfeld , Rowohlt, 736 S., 24,95 €)

Neun Jahre nach den „Korrekturen“ erzählt Franzen einen weiteren Familienroman. Diesmal im Zentrum: eine liberale, politisch aufgeklärte, ökologisch engagierte Obama-Wähler-Familie. Kennen Sie das Gefühl, dass ein Buch mehr über einen weiß als man selbst? Franzens „Freiheit“ ist eines dieser seltenen Bücher. Ich kenne keinen anderen zeitgenössischen Autor, der so glaubhafte Charaktere aufs Papier bannen kann.

4) Cornelia Funke: Reckless – Steinernes Fleisch (Dressler, 346 S.,19.95€)

Nach der Tintenwelt hat die erfolgreichste deutsche Autorin der Gegenwart einen neuen Fantasykosmos entworfen: Funke erzählt von den Brüdern Jake und Will, Wiedergängern von Jakob und Wilhelm Grimm, und dekoriert ihre Geschichte mit Kulissen aus dem Fundus von Grimms Märchen plus Tischleindeckdich und Knüppel-aus-dem-Sack. Der Anfang kam mir zwar holperig vor, wahrscheinlich hatte ich Eingewöhnungsschwierigkeiten beim literarischen Weltenwechsel. Dann aber hat mich dieser Roman gepackt und gut unterhalten.

3) Jussi Adler-Olsen: Erbarmen (Deutsch von Hannes Thies, dtv, 420 S., 14.90 €)

„Erbarmen“, der erste Fall des Ermittlerduos Carl Mørck und seines Assistenten Hafez el-Assad, besticht weniger durch den abstrusen Fall einer seit Jahren entführten dänischen Politikerin als durch die Beschreibung des Büroalltags zweier Polizisten mit schwerem Karriereknick.

2) Jussi Adler-Olsen: Schändung (Deutsch von Hannes Thies, dtv, 460 S., 14.90€)

In Adler-Olsons zweitem Mørck-Krimi: wird es leider öd: Nun verstärkt eine direkt der Klischeekiste entsprungene Sekretärin das Team; Sozialromantizismen kippen in Hass auf „die Reichen“, und der Plot ist so fad, dass Adler-Olsen dieses Buch mit viel Sex und Brutalität zu einem verzwungenen Gewaltporno aufzwirbelt.

1) Ken Follett: Sturz der Titanen (Deutsch von Rainer Schuhmacher und Dietmar Schmidt, Lübbe, 1024 S., 28.00 €)

Eine moderne Version von „Krieg und Frieden“ will Follett in diesem Roman um drei Familien aus England, Deutschland und Russland schreiben: Geschichte verlebendigen, indem man sie personalisiert. Süffig erzählen kann er. Weil Follett aber die politischen, kulturellen und philosophischen Ideen des 20. Jahrhunderts in Dialoge packt, ächzen diese unter diesem Ballast und lesen sich wie Bekennerschreiben der RAF: „Anarchismus ist die Überzeuguung, dass niemand das Recht zu herrschen hat. In allen politischen Philosophien, vom Gottesgnadentum der Könige bis hin zu Rousseaus Gesellschaftsvertrag, wird der Versuch unternommen, Autorität zu rechtfertigen. Anacharchisten glauben, dass alle diese Theorien zum Scheitern verurteilt sind; deshalb ist keine Form der Autorität legitim.“ Es gibt dümmere Schmöker: Auf Platz eins der Bestellerliste aber gehört dieses Werk nicht.

(Heute Abend, 23.35 Uhr, Gäste John le Carré, Richard David Precht)

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