zum Hauptinhalt

AUFGESCHLAGEN Zugeschlagen: Helden, Hexen, Holzfiguren

Von Denis Scheck

Denis Scheck, Literaturredakteur im Deutschlandfunk, bespricht einmal monatlich die „Spiegel“-Bestsellerliste, abwechselnd Belletristik und Sachbuch – parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“ (heute 23.30 Uhr mit den Gästen Gila Lustiger, Ray Bradbury und Hans Magnus Enzensberger).

10) Cornelia Funke: Tintentod (Dressler Verlag, 768 Seiten, 22,90 €)

Vergnüglicheres lag lange schon nicht mehr stapelweise im deutschen Buchhandel. Funkes Tintenwelt-Trilogie – der mittlere Band „Tintenblut“ steht auf Platz elf – erzählt von Menschen, die ihren Platz im Leben suchen und sich nicht ganz sicher sind, wo dieser sein könnte: in unseren Hier und Jetzt oder in einer mittelalterlich anmutenden Parallelwelt, die von Riesen und Rittern, Feen, Spielleuten und Hexen bevölkert ist. Eskapismus, so notwendig wie ein Kuchen mit eingebackener Feile im Gefängnis.

9) Cornelia Funke: Tintenherz (Dressler Verlag, 573 Seiten, 19,90 €)

Warum sind Cornelia Funkes moderne Märchenbücher so einzigartig? Weil sie wie die zeitgenössische Form einer Operette von Jacques Offenbach die Kluft zwischen Traum und Wirklichkeit, Kunst und Leben immer wieder neu vermessen – und weil ihre Autorin dabei zwar meisterhaft flunkert, aber niemals lügt.

8) Milena Agus: Die Frau im Mond (Deutsch von Monika Köpfer, Hoffmann und Campe, 136 Seiten, 14,95 €)

Ein sympathisch verqueres Buch über die Selbstfindung einer Frau. Milena Agus stattet ihre Liebesgeschichte mit allen Zutaten eines Kitschromans aus: ebenso heißblütige wie schwachköpfige Charaktere, eine wunderschöne Landschaft, ein Ausnahmezustand vom Alltag. Nur das eine entscheidende Ingrediens fehlt: die Liebe. 136 auf den Punkt erzählte Seiten, ein Roman, der nicht bei den einfachen Wahrheiten stehen bleibt.

7) Hans Magnus Enzensberger: Hammerstein oder der Eigensinn (Suhrkamp, 375 Seiten, 22,90 €)

Dass das Leben ein wenig komplizierter ist als eine George-Grosz-Karikatur mit Zylinderhutkapitalisten und Pickelhaubenmilitärs, beweist Enzensbergers Lebensbeschreibung eines deutschen Offiziers, der es zum höchsten Militär der Weimarer Republik bringt, nach der Machtergreifung Hitlers seinen Abschied nimmt, dessen Töchter für die Sowjetunion spionieren und dessen Söhne zu den Helden des Widerstands vom 20. Juli 1944 zählen. Wie der Untertitel dieses durch formale Finessen, etwa den eingestreuten Totengesprächen, sehr anspruchsvollen Buchs deutlich macht, erzählt Enzensberger die Geschichte eines Eigenbrötlers. Darin einen Versuch zur Reinwaschung des preußischen Militäradels am Verhängnis Hitler zu sehen, bedarf einer starken ideologischen Brille.

6) Andrea Maria Schenkel: Tannöd (Edition Nautillus, 125 Seiten, 12,90 €)

Ein bayrisches Krimikaleidoskop, das mit jeder Drehung neues Schaudern hervorruft. Diese Rekonstruktion eines historischen Mordfalls mit literarischen Mitteln fasziniert vor allem durch die existenzialistische Kälte, mit der die Autorin erzählt. „Ich sage dir, es gibt keinen Gott auf dieser Welt, es gibt nur die Hölle“, heißt es an einer Stelle. Ganz so optimistisch ist die Tonlage von „Tannöd“ allerdings nicht immer.

5) Khaled Hosseini: Tausend strahlende Sonnen (Deutsch von Michael Windgassen, Bloomsbury Verlag, 381 Seiten, 22 €)

Der in Kabul geborene, seit langem in den USA lebende Khaled Hosseini hat einen Roman über die Unterdrückung der Frau in Afghanistan und die geistige Verelendung in diesem Land durch die Herrschaft der Religion, der Russen und der Taliban geschrieben. In diesem Buch steht, was auch tausend westliche Leitartikel über Afghanistan predigen. Nur verpackt Hosseini seine Botschaft in ein literarisches Gewand. Weil dieses Gewand seiner Prosa aber billig, fadenscheinig und obendrein abgrundtief hässlich ist, wird selbst der Hosseini geneigteste Leser bald auch an seiner Botschaft zweifeln.

4) J.K. Rowling: Harry Potter und die Heiligtümer des Todes (Deutsch von Klaus Fritz, Carlssen Verlag, 736 Seiten, 24.90 €)

Viel fauler Zauber erwartet den Leser des letzten Harry Potter. Und ein Ende für den Helden, wie es auch Lord Voldemort nicht schlimmer hätte aushecken können: Harry Potter als verheirateter Mann mit Kindern in der Kleinbürgerhölle des englischen Mittelstands. Herabgestuft vom designierten Erlöser zum drögen Ernährer bleibt dem Jungen, der die Welt vom Bösen erretten sollte, jetzt wohl nur noch der Suizid. Im Grunde hat aber schon Rowling selbst ihren Helden gekillt – und zwar durch die fieseste aller Todesarten, den Pinocchio-Mord: die Verwandlung eines lustigen kleinen Jungen in ein unbelebtes Stück Holz.

3) Julia Franck: Die Mittagsfrau (S. Fischer, 432 Seiten, 19,90 €)

Von zweierlei Ausbruchsversuchen aus der Verantwortung erzählt Julia Franck in diesem lesenswerten Roman – individuell über eine Mutter, die ihr Kind verlässt; kollektiv über Deutschland vom Kaiserreich über die Weimarer Republik bis zur Nazizeit und dem Leben nach 1945. Auch wenn einzelne Passagen ein wenig nach Programmmusik klingen: Wie Julia Franck dieses Geschichtspanorama anrührend und sprachlich genau in die Lebensgeschichte zweier Schwestern auflöst, imponiert ungemein.

2) Martin Suter: Der letzte Weynfeldt (Diogenes Verlag, 272 Seiten, 19,90 €)

Die Handlung dieses Romans über ein gefälschtes Bild ist albern und wäre schon vor hundert Jahren allzu durchschaubar gewesen. Martin Suter bürdet diese Handlung einer Hauptfigur auf, die altbacken, farblos und strunzlangweilig ist. Obendrein entwickelt er ein derart misogynes Frauenbild, dass sogar in mir ein Würgereiz aufsteigt. Aber amüsiert, amüsiert hat mich dieser Unterhaltungsroman dennoch prächtig. „Der letzte Weynfeldt“ ist ein sehr guter schlechter Roman.

1) Ildefonso Falcones: Die Kathedrale des Meeres (Deutsch von Lisa Grüneisen, Scherz Verlag, 656 Seiten, 19,90 €)

Selten lässt sich die Besserwisser-Problematik des historischen Romans anschaulicher machen als an diesem von einem schwer erträglichen katalanischen Chauvinismus durchdrungenen Schmöker. Bei Ildefonso Falcones torkeln durchweg Menschen mit dem Bewusstsein des 21. Jahrhunderts durch das Barcelona des 14. Jahrhunderts, weshalb sich seine Helden unentwegt bei Moslems, Juden und Frauen, ausgebeuteten Arbeitern und Leibeigenen für die Ungerechtigkeiten und menschenunwürdige Behandlung in ihrer Epoche entschuldigen. Als der Held vom König gegen seinen Willen geadelt und mit einer Burg ausgestattet wird, liest sich das dann so: „Hör zu … damit eines klar ist: Ich will keine Burg, noch bin ich jemandes Herr, und das habe ich auch in Zukunft nicht vor. Ich werde nur so lange hierbleiben, wie es unbedingt nötig ist, um alles Notwendige zu regeln.“ Leider dauert das 656 Seiten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false