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AUFGESCHLAGEN Zugeschlagen: Kitsch der grauen Gänse

Von Denis Scheck

Denis Scheck, Literaturredakteur beim Deutschlandfunk, bespricht einmal monatlich die „Spiegel“-Bestsellerliste, abwechselnd Belletristik und Sachbuch.



10) Nicholas Sparks: Das Leuchten der Stille (Deutsch von Adelheid Zöfel, Heyne Verlag, 400 Seiten, 19, 95 €)

Dass in Zeiten militärischer Bedrängnis die Künste zur ideologischen Aufrüstung herangezogen werden, lässt sich schön an diesem Beitrag zur amerikanischen Wehrertüchtigung in Form eines Liebesromans studieren: Die große Liebe eines US-Soldaten heiratet einen anderen, weil dieser nach dem 11. September spontan seine Dienstzeit verlängert. Schwer zu entscheiden, was an diesem Roman widerlicher ist: der monogame Graugans-Kitsch seiner Einmal-im-Leben-Philosophie oder sein über Leichen gehender Patriotismus.

9) J.R.R. Tolkien: Die Kinder Hurins (Deutsch von Helmut Pesch, Klett-Cotta, 333 Seiten, 19, 90 €)

Einige tausend Jahre vor „Der Hobbit“ und „Der Herr der Ringe“ spielt diese nun neu edierte Geschichte aus den ältesten Tagen Mittelerdes, in denen die Verwandtschaft des Tolkienschen Sagenkreises mit den Opern Richard Wagners besonders evident wird. Wer die todtraurige und wunderschöne Inzestgeschichte von Túrin und Nienor noch nicht aus „Das Silmarillion“ kennt, dem wird Tolkiens Entwurf einer aschgrauen Gegenwelt hier weit radikaler und anstößiger erscheinen als im Epos um Saurons Ring.

8) Karin Slaughter: Gottlos (Deutsch von Sophie Zeitz, Wunderlich, 510 S., 19,90 €)

Karin Slaughter siedelt ihre Krimis an der Schnittstelle zwischen forensischer Medizin und Soap Opera an. Offenbar gibt es viele Menschen, die so was gern lesen. Aber Krimis, in denen Polizeichefs beim Spazierengehen über Särge stolpern, in denen junge Mädchen lebendig begraben wurden, kann ich nur als Satire à la „Kottan ermittelt“ goutieren.

7) Cecelia Ahern: Vermiss mein nicht (Deutsch von Christine Strüh, Krüger Verlag, 432 Seiten, 16,90 €)

Die ersten drei Liebesromane dieser rührseligen Autorin habe ich gehasst; in diesem sehr seltsamen Buch erfindet sich die mittlerweile 26-Jährige quasi als Fantasyautorin neu und entwickelt eine so starke Handlungsidee – einen Ort namens „Hier“, an dem sich quer durch die Zeiten alle verlorenen Socken, entlaufenen Haustiere und vermissten Personen versammeln –, dass man ihr die Klischees ihrer Charakterisierung, ihre hölzernen Dialoge und die Luftmaschen der Handlung fast nachsehen könnte. Aber nur fast.

6) J. B. Moehringer: Tender Bar (Deutsch von Brigitte Jakobeit, S. Fischer, 460 Seiten, 19,90€)

Ein trockener Alkoholiker erzählt von den Freuden des Saufens und des Aufwachsens in einer amerikanischen Bar, in der man hauptsächlich über Sport und Literatur spricht. Ein Buch wie ein Longdrink, im Abgang leicht möpselnd.

5) Dieter Hildebrandt: Nie wieder achtzig! (Blessing Verlag, 238 Seiten, 19,95 €)

Ich hatte großen Respekt vor dem Kabarettisten Dieter Hildebrandt, ehe ich diese Sammlung langweiliger, geistloser und durchweg im Sound bräsigster Selbstgefälligkeit abgefasster satirischer Texte las. Jetzt habe ich enormen Respekt vor Hildebrandt: Wer mit so lausigen Texten bestehen kann, muss ein verdammt guter Kabarettist sein.

4) Daniel Kehlmann: Die Vermessung der Welt (Rowohlt Verlag, 303 S., 19,90 €)

Ein blendend unterhaltsamer Roman über den Mathematiker Gauss und den Weltreisenden Humboldt, mal philosophisch abgefeimt, mal jugendbuchhaft oberschlau, und in dieser Quecksilbrigkeit sehr viel vom Reiz der Epoche der Aufklärung selbst transportierend. Noch jemand ohne?

3) Tommy Jaud: Millionär (Scherz Verlag, 306 Seiten, 13,90 €)

Kölner Arbeitsloser braucht auf die Schnelle eine Million, um eine nervige Yuppie-Obermieterin loszuwerden. Daraus macht Jaud einen hochtourigen Unterhaltungsroman, der einige schöne Witze und viel flaue Komik enthält. Ein Beispiel: „Was lieste?“ fragt die Hauptfigur den Betreiber eines Internetcafes. „Die Vermessung der Welt.“ „Und? Wie groß isse?“

2) Andrea Maria Schenkel: Tannöd (Edition Nautilus, 125 Seiten, 12, 90 €)

Wie Schenkel einen historischen Mordfall aus der Provinz in einen psychologisch glaubhaften Totentanz verwandelt und auf kleinstem Raum niemals bloß ein Bauern-, sondern ein bezwingendes Welttheater inszeniert, ist große Kunst.

1) Donna Leon: Wie durch ein dunkles Glas (Deutsch von Christa E. Seibicke, Diogenes Verlag 344 Seiten, 21,90 €)

Wie bei einer guten Pasta kommt Donna Leon inzwischen mit sehr wenigen Zutaten aus, um ein überzeugendes Resultat zu erzielen. „Was ist venezianischer als Muranoglas“, fragt Signorina Elettra auf Seite 219 dieses leichten Unterhaltungsromans. Brunettis 15. Fall ist ein schlichter, aber niemals anbiedernder Serienkrimi um ein Umweltverbrechen und das Leid eines behinderten Kindes. Gute Unterhaltung.

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