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Freie Geister im Faschismus. In Turin gründete Giulio Einaudi 1933 seinen Verlag (Aufnahme der Via Roma von 1937). Foto: Ullstein-Bild

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Kultur: Aufrecht bleiben

Leseland Italien: Maike Albath über die Bedeutung des Verlags Einaudi

Die gelben Bände mit dem Straußenvogel als Emblem standen für ein Bewusstsein, eine moralische Haltung. Auf den Mittwochssitzungen, zu denen oft berühmte Gäste wie Jean-Paul Sartre oder Roland Barthes kamen, haben sich Marxisten und Idealisten erbittert gestritten. Und doch gab es einen starken Zusammenhalt, der Einaudi im Italien der Nachkriegszeit die führende Position unter den linken Verlagen sicherte.

Die Literaturkritikerin Maike Albath erzählt die Geschichte dieses bedeutenden Verlags in ihrem Buch „Der Geist von Turin“ als Reise ans Ende einer Epoche, die im Faschismus begann und spätestens seit dem Jahr 1994 der Vergangenheit angehört, als Einaudi durch Verkauf an Mondadori Teil der Berlusconi-Medien wurde. Maike Albath, die mehrere Jahre in Turin gelebt hat, lässt berühmte Mitarbeiter wie Leone und Natalia Ginzburg oder Italo Calvino in ihren Erinnerungen zu Wort kommen; die letzten noch lebenden Zeugen dieser Zeit – Vertriebsleiter, Lektoren, Übersetzer – hat sie selbst befragt.

Als Giulio Einaudi, Sohn eines bekannten liberalen Politikers, sich 1933 entschloss, mit seinen Freunden vom Gymnasium einen Verlag zu gründen, waren die politischen Konflikte vorprogrammiert: Leone Ginzburg verlor damals seine Dozentur für slawische Sprachen, weil er sich weigerte, den Eid auf Mussolini zu leisten. Der Kosmopolit Ginzburg wird mit seinem universalen Wissen zur treibenden intellektuellen Kraft des Verlags, er regt als Erstes eine „Bibliothek der historischen Kultur“ an. Cesare Pavese, ein von Amerika begeisterter Dichter, wird für Einaudi zum Entdecker noch weitgehend unbekannter amerikanischer Gegenwartsautoren – wie John Steinbeck, William Faulkner oder Sinclair Lewis, die er übersetzt und in Essays vorstellt.

Der neue Verlag gerät bereits in den ersten Jahren ins Visier der faschistischen Behörden. Ginzburg, der Kontakte zu der Widerstandsbewegung „Giustizia e Libertà“ unterhält, wird als gefährlicher Antifaschist eingestuft, zu Gefängnis verurteilt, später auf Jahre in die Abruzzen verbannt. Erst Mussolinis Sturz 1943 macht seine Übersiedlung nach Rom möglich, wo Einaudi – nach Mailand – eine dritte Filiale eröffnet. Von dort aus soll eine „Universalbibliothek“ nach Reclams Vorbild aufgebaut werden. In der bald darauf von den Deutschen besetzten Stadt wird Ginzburg bei einer Razzia verhaftet. Er stirbt 1944 im Gefängnis.

Der Maler Carlo Levi, der für die Zeitschrift „La Cultura“ schrieb, wurde in die Basilicata verbannt. Die Landbevölkerung inspiriert ihn zu seinem bei Einaudi erschienenen Roman „Christus kam nur bis Eboli“, der zum Bestseller wird. Der apolitische Schriftsteller Cesare Pavese, dem nichts weiter nachzuweisen war als die Beziehung zu einer Kommunistin, in die er unglücklich verliebt war, wird in die Provinz nach Kalabrien geschickt.

Pavese erträgt seine Isolation schlecht, versucht in einem Tagebuch, den Schmerz produktiv werden zu lassen. Es ist die Geburtsstunde des Erzählers Pavese, der den mythischen Glanz des ländlichen Piemont entdeckt, aus dem er stammt. In den Kurzromanen, die ihn nach 1945 bekannt machen, wie „Der Teufel auf den Hügeln“ und „Die einsamen Frauen“, lässt er seine Figuren Alltagssprache reden und das Gefühl artikulieren, vom Leben ausgeschlossen zu sein. 1950 begeht Pavese in einem Turiner Hotel Selbstmord, zwei Jahre später erscheint sein Tagebuch, das „Handwerk des Lebens“. Demokratische Erneuerung werde es nach dem Krieg nur geben, wenn Anpassung und Widerstand unter Mussolini geschichtlich aufgearbeitet werden. Giulio Einaudi hat sich diesem geistigen Erbe immer verpflichtet gefühlt. Viele autobiografische Darstellungen, die den „gewöhnlichen Faschismus“ zeigen, gehören heute zu den bekanntesten Titeln des Verlags, von Primo Levis Auschwitz-Buch „Wenn das ein Mensch ist“ über Giorgio Bassanis 1962 erschienenem Roman „Die Gärten der Finzi-Contini“ bis zu Natalia Ginzburgs „Familienlexikon“, in dem Ginzburg die Turiner Kreise schildert, in denen ihr Mann Leone, Giulio Einaudi und Cesare Pavese sich bewegten.

Der Germanist Cesare Cases, im Verlag für deutsche Literatur zuständig, charakterisiert den 1999 gestorbenen Giulio Einaudi als Mischung aus Snobismus, Menschenkenntnis und einem ökonomischen, aber nicht allein profitorientierten Wesen. Umso erstaunlicher sei es gewesen, dass er in den siebziger Jahren vom Prinzip der Querfinanzierung abwich und sich verspekulierte, etwa mit einer voluminösen „Geschichte Italiens“ oder der 16-bändigen „Enciclopedia Einaudi“.

Maike Albath hat mit „Der Geist von Turin“ eine Kulturgeschichte des modernen Italien geschrieben. Man erfährt darin viel über den Weg zur heutigen Mediengesellschaft, den Umgang mit der Vergangenheit und auch über ein eher unbekanntes Italien – ein Land des Lesens.

Maike Albath:

Der Geist von Turin. Pavese, Ginzburg,

Einaudi und die

Wiedergeburt Italiens nach 1943. Berenberg Verlag, Berlin 2010.

192 Seiten, 19 €.

Rolf Strube

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