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Wahnsinn der

© Marcus Lieberenz / bildbuehne.de

Kultur: Aufs Maul

„Bakunin auf dem Rücksitz“: Uraufführung in den Kammerspielen des Deutschen Theaters

Die Politikerin Charlotte (Isabel Schosnig) steht kurz vor einem ziemlich dekorativen Nervenzusammenbruch. Ständig hackt sie auf ihr Smartphone ein, um ihren schwer pubertierenden AnarchoSohn Jan (Hauke Diekamp) an die Strippe zu bekommen. Eine Plakatkampagne brandmarkt die Politikerin im kompletten Kiez als böse „Gentrifiziererin“. Sie habe deshalb, brüllt Charlotte ihrem fühlbar angepunkten Sohn mit Verve auf die Mailbox, seit Nächten nicht geschlafen und werde gleich ein paar Tabletten einwerfen. In das Car-Loft, das ihr beruflich als Immobilienmakler tätiger Liebhaber Steven (Moritz Grove) im alten Hausbesetzermilieu plant, wird sie natürlich trotzdem einziehen.

Steven wiederum sieht aus wie der freidemokratische Generalsekretär Christian Lindner und hat bereits den Schwerstalkoholiker Jörg auf dem Gewissen. So empfinden das zumindest Moni (Simone von Zglinicki), die Wirtin der Hartz-IV-ler-Absturzkneipe „Fettecke“, und ihre später schnöde zur Gegenseite überlaufende Jeansshorts-Freundin Eddi (Anita Vulesica), die neben Jörg auch sämtliche anderen bezirkseigenen Pflegefälle betreut. Jörg hatte nach Stevens Räumungsklage nämlich kurzerhand den Gashahn aufgedreht. Und Moni und Eddi werfen dem kapitalen Immo-Bösewicht nun bei einem spontanen Sit-in in Jörgs ehemaliger Sozialbude mit dünnen Stimmen Mord, Finanzkapitalismus und einen besonders schweren Fall von Yuppietum vor.

Kurzum: Man kann sich „Bakunin auf dem Rücksitz“, Dirk Lauckes Auftragswerk für das Deutsche Theater Berlin, hervorragend als Kreuzberg-affine Typen-Farce vorstellen. Sämtliche local players des frei schwebenden Gentrifizierungsdiskurses sind vertreten. Jeder Einzelne denkt eher vom eigenen Stammtisch her – sprich: die entscheidenden zehn Zentimeter zu kurz. Und weil der 28-jährige Laucke – vor drei Jahren in der Kritikerumfrage der Fachzeitschrift „Theater heute“ zum Nachwuchsautor des Jahres gekürt – über ein überdurchschnittliches Gespür für (Sprach-)Milieus verfügt, tun sie das tatsächlich mal in den adäquaten gegenwartsdramatischen Worten.

Damit das Ganze nicht zu realistisch wird, schüttelt Laucke einen „vermeintlich anarchistischen Straßenköter“ aus dem Ärmel. Besagtes Tier (Matthias Neukirch) ist Jörgs nächster Hinterbliebener, trägt mit Bedacht den Namen des russischen Anarchisten Bakunin und erzählt dem Publikum den kompletten Abend gleichsam durchs Hundemaul. Matthias Neukirch gibt ihn als Anzugträger mit Zigarre im Mund und Hundeleine um den Hals – und als einen, der auch sonst keinerlei Hehl aus seiner Affinität zu übelsten pseudopolitischen HollywoodSchinken macht. Kurz vor Schluss der allgemeinen Turbulenz skizziert Bakunin in einer schönen Produzenten-Parodienummer einen unsäglichen Inuit- und Immobilienblockbuster, der weltumspannende Globalisierungsdiskurse auf den kleinsten gemeinsamen Sex- und Ödipalnenner herunterdividiert. Die Motive und Personen decken sich eins zu eins mit Lauckes eigenem Gentrifizierungswerk, immer nach dem Motto: Mir ist die Unterkomplexität durchaus nicht entgangen, aber ich will ja auch nicht ins „Philosophische Quartett“, sondern an die Geldhähne.

Die Regisseurin Sabine Auf der Heyde, die Anfang des Jahres bereits Lauckes Stück „Für alle reicht es nicht“ in der DT-Box inszenierte, verortet das Geschehen vom Ansatz her adäquat im Comic. Und Christoph Schubiger hat für die Akteure ein schwarzes Plateau in die Kammerspiele hineingebaut, hinter dem Chrigel Farner videoanimiert in naiven Umrissen – und aus notwendig angemessener Hundeperspektive – die jeweiligen Szenarien skizziert: Jörgs Bude, Monis „Fettecke“ und so weiter.

Solange die Figuren in diesem Typologischen bleiben, machen Text und Inszenierung durchaus hintersinnigen Spaß. Sobald sie mit ihren Gemeinplätzen aber zu stark in Richtung Realismus und Sentiment driften, ist sozialromantische Gefahr im Verzug.

Nächste Vorstellungen im Deutschen Theater: 13. und 15. Oktober.

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