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Kultur: Aufstand der Zwerge

Neuer Anlauf: Dorsts Bayreuther „Rheingold“

Ach, das macht Laune. Man möchte seufzen und lachen nach diesem ersten Abend der Wiederaufnahme von Tankred Dorsts „Ring“. Hatte Christian Thielemann doch bereits mit dem putzmunteren „Rheingold“-Vorspiel die letzten Fetzen mythisch-wabernden Wagner-Nebels wegdirigiert. Schon mit dem ersten Kontra-Es hebt ein heiter-hurtiges Treiben an, als wäre der „Ring“ keine germanische Göttersaga, kein 20-stündiges Musiktheater-Monstrum, sondern ein Kinderspiel. Eins von der unbekümmert-weisen Sorte, von jener instinktklugen Unschuld, die man beim Rätselraten um die Wolfgang-Wagner-Nachfolge dessen Tochter Katharina nur zu gerne attestieren möchte. Ach, könnte sie doch auch so mit der Wagner-Weltkugel jonglieren!

Weg mit dem Ballast. Mit jedem zart aufblühenden Motiv ebenso wie mit der konsequenten Zurücknahme der Lautstärke gelingt Thielemann die Überwindung der Wagner’schen Schwerkraft. Was nicht heißt, dass nicht gewichtig wäre, was die Musik sagt. Aber man nimmt es kaum wahr: Die Augen hören in der Oper bekanntlich mit. Seit Dorsts „Ring“-Premiere im Vorjahr hat sich an der Inszenierung des 8-jährigen Dramatikers nichts zum Guten gewendet, jedenfalls nicht im „Rheingold“. Einhellig war sie beschimpft worden, seine Tetralogie, wegen mangelnder Personenführung, Psychologie und Fantasie. Der Tagesspiegel zeigte sich bestürzt ob all der „Rat- und Tatlosigkeiten“, die „FAZ“ mokierte sich über den „pseudopostmodernen Verhau“, Joachim Kaiser zitierte in der „Süddeutschen“ die Spottrede vom „szenischen Oratorium“, und „Die Zeit“ bescheinigte eine „Wagner-Beerdigung erster Klasse“.

Also noch einmal. Feurig gewandete Rheintöchter (Kostüme: Berd Skodzig). Götter in Weiß auf hoffnungslos zubetonierter Großstadt-Plaza; Nibelheim als Heizkeller, der zur Felsenhöhle mit blechernem Goldschatz aufreißt; hilflose Vorhänge bei den Verwandlungsmusiken (Bühne: Frank Philipp Schlößmann): Wagner bieder, Wagner abstrakt, allemal altbacken. Und der neue Wotan von Albert Dohmen – ein verbohrter Speerträger mit eingekerkertem Timbre.

Michelle Breedts beseelte Fricka, Edith Hallers betörende Freia, der sympathisch schlanke Erda-Gesang von Mihoko Fujimura, Arnold Bezuyens lustig-listiger Loge und Andrew Shores hämischer Alberich – dank Thielemann erklärt sich das Festspielorchester mit ihnen solidarisch, auch bei begrenztem stimmlichem Material. Vom Zwerg bis zur Göttergattin, es sind leidenschaftlich leidende, irdische Geschöpfe. Die Regie lässt sie mutterseelenallein. Thielemann entrümpelt Wagner, Dorst führt das Gerümpel noch einmal vor. Thielemann lichtet, Dorst verdüstert. Auf der Bühne Statik, im Orchestergraben Bewegung, Herzeleid, Sinnenfreude. Oben Vorvergangenheit, unten Zukunft, vielleicht. Jubel für Thielemann. Angesichts der Bayreuther Zukunftsdebatte nimmt sich der Gegensatz zwischen seiner Meisterschaft und der stümperhaften Regie noch himmelschreiender aus. Mehr nächste Woche, nach der „Götterdämmerung“. Christiane Peitz

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