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Es gibt Gemälde zu sehen, aber auch Drohnen und XXL-Smartphone Statuen.

© Oana Popa

Auftakt der Art Week: Alternatives Alphabet

Eine archaische Figur vor einem XXL-Smartphone Display, dampfende Müllcontainer. Die Art Berlin Contemporary bietet ein reduziertes Programm, dafür aber viel Alternatives und Mutiges.

Ein Würstchen gefällig? Der Imbisswagen steht schon da, auch wenn er aussieht wie eine überdimensionale Portion Senf aus der Tube. Erwin Wurm hat den VW-Bulli umbauen lassen und 2015 vor das Kunstmuseum Wolfsburg gestellt. Jetzt ist „Curry Bus“ ein poliertes Schmuckstück der Art Berlin Contemporary (ABC) und erinnert daran, dass gegenüber dem Stand der Galerie Johann König das gastronomische Programm der Messe läuft.

Andere Nebenprodukte der Veranstaltung wie Eintrittskarten oder Bookshop finden sich in einem Nebentrakt der Station Berlin. Sie haben die große Halle verlassen, in der eine ungewohnte Reduktion herrscht. Dass zur neunten Ausgabe der Berliner Messe bloß 62 statt der bislang gut hundert Galerien vertreten sind, hat in den vergangenen Wochen viel Häme provoziert. Von schwindendem Interesse war die Rede, das junge Institut „dikum“, das Entwicklungen auf dem Kunstmarkt verfolgt, prognostiziert sogar den „Niedergang und das Ende der ABC“. Aber ist das so?

Sichtachsen und freie Zonen

Wer in die aufgeräumte Halle kommt, der kann dem Team um Messedirektorin Maike Cruse eigentlich nur danken. Für eine ABC mit 62 durchweg spannenden Kojen von auswärtigen Galerien wie Athr aus Saudi-Arabien, Metropolitana aus Mexiko oder Ellis King aus Dublin. Knapp die Hälfte der Teilnehmer ist außerdem aus Wien, der Schweiz oder nahen Standorten wie Düsseldorf und Köln angereist. Die anderen Galerien kommen aus Berlin – darunter Capitain Petzel (Monika Sosnowska und Peter Schoolwerth), Barbara Wien (Ian Kiaer), Grimmuseum (Alona Radeh) oder PSM (Ariel Reichmann). Der Begriff der Koje trifft den Eindruck allerdings nicht wirklich: Das Prinzip der Stellwände wird vielfach durchbrochen, es gibt Sichtachsen und freie Zonen für Arbeiten, die keine optische Abgrenzung brauchen. Wie die Installation von Markus Selg bei den Galerien Vilma Gold und Guido W. Baudach, der eine archaische Figur vor ein Smartphone-Display in XXL setzt, um mit digitalen Mitteln mal Feuer und mal Licht auf die ABC zu bringen.

Andere Künstler grenzen sich bewusst ab. Andreas Schulze hat alle vier Wände der Ausstellungsfläche von Sprüth Magers tiefblau malen lassen. Die abstrakten Badegäste auf seinen Leinwänden – schwere, farbige Körper mit Öffnungen, aus denen wie bei den Schornsteinen von Kreuzfahrtschiffen schwarzer Rauch quillt – scheinen knietief im Wasser zu stehen (Preise: 6000–22000 Euro). Bilder wie diese hat man von Schulze, Jahrgang 1955, noch nicht gesehen. Und genau das will die ABC mit ihrem neuen Ansatz erreichen: nicht mehr möglichst viel zeigen, sondern zeigen, was neu, anders oder noch auf dem Weg der Etablierung ist.

Drohnen und Minikameras

Manches kann man schnell übersehen. Den dampfenden Müllcontainer beispielsweise, der vor dem Eingang zur Halle steht und so aussieht, als hätte mal wieder jemand bei der Entsorgung seiner Abfälle gepennt. Der junge Konzeptkünstler, der vom Berliner Galeristen Alexander Levy vertreten wird, liebt solche Missverständnisse, die die Grenzen zwischen dem Alltag und dem Artifiziellen durchlässig machen. Auch Ian Kiaer ist keiner, der mit großer Geste die Koje von Barbara Wien füllt: Seine Installationen aus Fundmaterial interpretieren die Modelle visionärer Architekten sehr poetisch und minimal.

Andere Künstler haben auf der ABC ihren großen Auftritt. Zu ihnen gehört Raphaela Vogel mit einem wilden, schamanischen Raum und einem Video, in dem die 1988 geborene Künstlerin dank Drohne und Minikameras für einen visuellen Flug durch die Lüfte sorgt. Vogel wird bald das Programm der Berliner Galerie BQ aufmischen. Eigen + Art bringt Despina Stokou mit, deren Motive ein Alphabet gemalter Emoticons sind (Preis: je 16000 Euro) – nicht aus Berlin, sondern aus Leipzig, wo Künstlerin und Galerie die Premiere ihrer Zusammenarbeit schon gefeiert haben. Und Koal zeigt den in Israel etablierten Bildhauer Yitzhak Golombek, dessen museale Installation aus Sperrholztropfen zum ersten Mal in Deutschland zu sehen ist (Preis auf Anfrage).

Plattform für Sammler und Kuratoren

6000 Euro muss jeder Teilnehmer mindestens für seinen Stellplatz bezahlen, mit zusätzlichen Wänden kommt er rasch auf das Doppelte und mehr. Wenn nun die ABC nach all ihren Experimenten, den quantitativen Sprüngen der vergangenen Jahre und der abrupten Verkleinerung keine Zukunft mehr haben soll, dann fragt man sich: Weshalb riskieren vor allem die jungen Galerien, die nicht international unterwegs sind wie Esther Schipper, Mehdi Chouakri oder Neugerriemschneider – alle ebenfalls auf der ABC präsent – so viel? Weil sie nach wie vor an das Modell einer Plattform für Berlin glauben, die in diesen Tagen Sammler und Kuratoren in die Stadt bringt.

Die strikte Auswahl, sagt Maike Cruse, habe für Ärger gesorgt. Es seien auch diesmal genügend Bewerbungen eingegangen, um die Halle wie 2015 mit zeitgenössischer Kunst zu füllen. Das sei aber nicht länger das Ziel. Ein schmales, kuratiertes Angebot, dazu ein konzentriertes Begleitprogramm – und die hochkarätigen Ausstellungen in den Berliner Galerien. Das soll reichen. Man wird sehen, wie das ankommt. Man sieht aber auch, dass es den Beteiligten guttut.

Art Berlin Contemporary, Station, Berlin, Luckenwalder Str. 4–6, 16.–18.9.

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