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Kultur: Augen wie Billardkugeln

Farbgewitter: Matthew Ritchie in der Galerie c/o Atle Gerhardsen

Opulent wie barocke Wandgemälde, flüchtig wie aggressive Graffitis und präzise wie wissenschaftliche Formeln – die Malerei des in New York lebenden Briten Matthew Ritchie vereint eine Vielzahl von Qualitäten. Das Resultat dieser raumfüllenden Form- und Farborgie kann sich sehen lassen: Explosive Farbgewitter, kühl-kalkulierte Diagramme und zunächst verwirrende Kompositionen von abstrakten und abbildenden Formen geben in der Ausstellung „After The Father Costume“ den polyphonen Ton an. Schon der Titel der Ausstellung deutet aber an, dass, bei aller malerischen Finesse, diese überaus suggestive Rauminszenierung auch eine konzeptionelle Seite besitzt: Die in der Galerie c/o Atle Gerhardsen präsentierten Zeichnungen, Wandmalereien und Gemälde (12 500 bis 50 000 Euro) beziehen sich auf den Text „The Father Costume“. Der amerikanische Schriftsteller Ben Marcus erzählt hier einerseits die Geschichte eines Vaters, der mit seinen beiden Söhnen auf eine abenteuerliche Reise durch Raum und Zeit geht, andererseits ist der Text eine Metapher für das Erzählen überhaupt.

Ritchie übersetzt diese doppelte Ebene so poetisch wie präzise in seinen künstlerischen Kosmos. Den Auftakt machen zwei Zeichnungen: In filigraner Linienführung wird die Hauptfigur der Geschichte eingeführt und seine nun beginnende Reise durch die imaginäre „Landschaft der Zeit“ vorbereitet. Diese furiose tour de force durch alle „ermalbaren“ Phasen möglicher Erzählung startet dann im Hauptraum durch. Auf zwei Gemälden und vor allem auf zwei großen Wandmalereien berichtet der Künstler von der Neugeburt einer schon geschriebenen, bereits vollendeten und damit auch „gestorbenen Story“ (Matthew Richie).

Zwecks dieser ästhetischen Reanimation ist der ganze Raum durchzogen von einem Netz aus schwarzen, gleichzeitig an Kalligraphie und Kartographie erinnernden Strichen. In diesen Verästelungen löst sich die Vaterfigur auf; für einen Moment lugt ihr Kopf heraus, dann versteckt sie sich hinter vibrierenden Farbflächen, um schließlich in einem bunten Mosaik aus Plastikplatten am Boden scheinbar endgültig zu verschwinden. Ein bunter Strudel biomorpher Strukturen und monochromer Farbverläufe dynamisieren das Geschehen. Physische Formeln aus der Thermodynamik, geschriebene Namen, wie der des Galeristen, und immer wieder auftauchende Kreisformen, die sowohl Augen wie Billardkugeln, Atome oder Globen repräsentieren könnten, erhöhen den Informationsgehalt dieser Raumbemalung schließlich fast schon gnadenlos. Denn auch diese Frage stellt Ritchie mit seiner Kunst: Wann tritt bei uns der Moment ein, den John Travolta in dem Kultfilm „Pulp Fiction“ lapidar mit den Worten „Zu viel Information“ beschrieben hat?

c/o Atle Gerhardsen, Holzmarktstraße 15–18, S-Bahnbogen 46 , bis 31. Mai; Dienstag bis Sonnabend 11–18 Uhr.

Raimar Stange

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