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Kultur: Aus Alt mach Neu

Das war fällig. Spätestens nach Rattles nur halbgeglücktem Beethoven-Zyklus mit den Wiener Philharmonikern wollten wir wissen, wie denn diese Sinfonien klingen, wenn statt eines unwilligen Edelorchesters im Klangkorsett historisierender Aufführungspraxis Menschen auf dem Podium sitzen, die diese Aufgabe als aufregende Herausforderung begreifen.

Das war fällig. Spätestens nach Rattles nur halbgeglücktem Beethoven-Zyklus mit den Wiener Philharmonikern wollten wir wissen, wie denn diese Sinfonien klingen, wenn statt eines unwilligen Edelorchesters im Klangkorsett historisierender Aufführungspraxis Menschen auf dem Podium sitzen, die diese Aufgabe als aufregende Herausforderung begreifen. Für die Akademie für Alte Musik Berlin ist Beethovens "Zweite" Neue Musik - und genauso spielen die 33 Instrumentalisten das Stück auch. Mit schroffem Bogenstrich die Streicher, mit herausfordernder Dominanz die Bläser. Wo Rattle die Zweite noch als sonniges Dur-Stück begriffen hatte, in dem noch der freundliche Geist Haydns nachwirkt, setzen Jos van Immerseel und die Akademiker auf Provokation.

Die Minimalbesetzung verschiebt das Klanggewicht zugunsten der Bläser, durch den Kontrast zwischen der nervösen Spannung des Hauptthemas in den Streichern und den dreinfahrenden Tuttischlägen gewinnt schon der Kopfsatz eine unerhörte Energie. Verbindlich oder gar harmlos ist da keine Note, die harmonischen Entwicklungen der Durchführung rücken das Stück im Gegenteil ganz nahe an die "Eroica" heran. Das kleine Team sichert freilich auch eine Wendigkeit und eine Flexibilität, die ein sinfonischer Apparat nicht bieten kann - Scherzo und Finale kingen in ihrer überrumpelnden Rasanz so mitreißend, dass das Gewicht des Kopfsatzes sein adäquates Gegengewicht in spielerischem Übermut findet.

Ein Beethoven, der nicht nur den Rest dieses Konzerts in den Schatten stellt. Eine kurze Ouvertüre Johann Christian Bachs und Mozarts großes Es-Dur-Konzert (mit Immerseel am Fortepiano) hatten zuvor im Konzerthaus eher zur Positionsbestimmung gedient - zwischen der Empfindsamkeit des melancholischen Mozart-Mittelsatzes und Beethoven schienen nicht 20 Jahre, sondern eine ganze Welt zu liegen.

Den vorzüglichen Hornisten der Akademie für Alte Musik wurden übrigens kurz vor Konzertbeginn die Naturhörner gestohlen. Wir hoffen nicht, dass neidische Kollegen dahinter stecken.

Jörg Königsdorf

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