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Kultur: Aus der Innenwelt eines Schizophrenen: Michael Hirschs Oper am Theater Bielefeld uraufgeführt

"Das Theater ist in Wien / Zum Theater gehen heisst schauspielen / Die Schauspieler spielen in der Oper. / Die Oper ist ein singendes Theater.

"Das Theater ist in Wien / Zum Theater gehen heisst schauspielen / Die Schauspieler spielen in der Oper. / Die Oper ist ein singendes Theater." Diese Zeilen schrieb Ernst Herbeck, der schizophrene Dichter, in der österreichischen Nervenheilanstalt Gugging. Seine Gedichte, die er nur verfasste, wenn sein Arzt Leo Navratil ihm Papier und Stift reichte, machten ihn berühmt. Herbeck beeinflusste Schriftsteller, Maler und Komponisten - er, der nur selten sprach, lieferte Kreativitätstheoretikern und Psychiatern Stoff für Diskussionen um das Verhältnis zwischen persönlicher Innen- und sozialer Außenwelt. Ist nicht die Welt des Schizophrenen die Realität, und wir seelisch ausgeglichene Menschen verdämmern sie schlicht, fragte Navratil.

Der Komponist Michael Hirsch, 42, hat für das Theater Bielefeld eine Oper - seine erste - auf Texte von Ernst Herbeck geschrieben. "Das stille Zimmer" ist keine Legende vom schizophrenen Dichter, wohl aber der Versuch, die Innenwelt eines Menschen in ein "singendes Theater" zu verwandeln. Herbecks Texte werden als betretbare Sprachräume inszeniert. Hörspielhafte Szenen wechseln mit komponierter Sprache, die bis an die Grenzen ihrer semantischen Belastbarkeit zerlegt wird. Das Bühnengeschehen ist reduziert auf Tableaus mit symbolträchtigen Accessoires, wie Hirsch es nicht zuletzt im Ensemble von Achim Freyer kennengelernt hat. Und doch setzen sich diese Zutaten im Bielefelder Stadttheater auf ganz neue Weise zusammen, denn den Auftrag, eine Oper zu schreiben, hat der Komponist auf heitere Art ernst genommen.

Die traditionelle Oper übe seit seiner Kindheit große Faszination auf ihn auf, gesteht Hirsch, der nie Opernhäuser in die Luft sprengen würde. Schließlich kennt er als Komponist eines Stückes mit dem Titel "Die Sehnsucht des Klaviers, ein Orchester zu werden" den Traum von der großen Form nur zu gut. In "Das Stille Zimmer" wird er subtil erfüllt und gleichzeitig in weite Ferne gerückt. Hirsch hat seine Oper aufgespalten auf fünf Sängerinnen und fünf Schauspieler. Die Damen, ganz in weiß gehüllt, dürfen bald nach Liederart bald nach Opernmanier die Stimmbänder benutzen. Die Bielefelder Philharmoniker unter Geoffrey Moull erzeugen dazu virile Tutti wie bei einem überdehnten Einstimmen vor einer Aufführung, dazu gesellen sich bruchstückhafte Ausbrüche von Dramatik und Anflüge eines Klavierkonzertes. Hirsch setzt die Theatermaschinerie in Gang, lässt die Bühne rotieren und die Streicher spielen. Doch Nichts gewinnt in dieser hintersinnigen Ansammlung die Überhand, alles bleibt in der Schwebe.

Der opernhafte Gesang gehört der Frau als fernem Wesen in Herbecks Welt, der sich als junger Mann von einem Mädchen ferngesteuert fühlte. Die Schauspieler sprechen seine Texte, lauschen dem Knistern der Kofferradios, preisen Wolken und erwägen ein Lied an den Mond: "Ist meistens stummer Minnesang. Von den Mondfahrern gesungen." Doch sie gehen nirgends hin. Und so münden alle Szenen im stillen Zimmer, einem kleinen Ort unter der Treppe, in dem sich an einem Tisch zwei Menschen gegenüber sitzen. Wo eine Trennlinie zwischen ihnen verlaufen könnte - Patient/Arzt oder Ich/Du - ist unklar. Tonbandeinspielungen mischen sich in die Stimmen, die sich sprunghaft erregen und schweigen: Es tropft, Silben tropfen, und die Stille perlt. Die Welt - ein stiller Ozean. "Die öde Einsamkeit", so wollte Ernst Herbeck einst ein Kriminalstück überschreiben. Michael Hirsch ist der Spur seiner Verse gefolgt. Seine Recherche, erinnert daran, wie reich das Musiktheater eigentlich ist. Eine Liebeserklärung, keine Frage.Weitere Vorstellungen am 22. und 25. Mai, sowie am 12. und 28. Juni

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