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Kultur: Aus der Metrohölle ins Café

Das deutsch-russische Forum vergleicht die städtischen Entwicklungen in Berlin und Moskau

Von Bernhard Schulz

Auch der Bundespräsident zollte Moskau seinen Respekt. Die russische Metropole nannte er in seinem Grußwort an das Deutsch-Russische Forum vergangene Woche „eine der faszinierendsten Städte der Welt“. Wohl niemand unter den knapp 70 Teilnehmern des zum ersten Mal nicht im angestammten Potsdam, sondern auf Anregung von Johannes Rau in Russland stattfindenden binationalen Gedankenaustauschs wollte da widersprechen. Das Thema „Berlin und Moskau – urbane Kulturen und globale Trends“ verhieß beiden Seiten eine Fülle neuer Einsichten. Mochte im dicht gedrängten zweitägigen Vortragsprogramm auch Berlin ein leichtes Übergewicht erringen, so beherrschte doch Moskau durch seine schiere Präsenz alle Empfindungen.

Hauptstadt der Reichen

Beide Städte verbindet der radikale Wandel, den sie im letzten Jahrzehnt durchmachten. Während Berlin allmählich seine neue Form gefunden hat, ist die Umgestaltung Moskaus in vollem Gange. Das Deutsch-Russische Forum, 1993 als Privatinitiative mit einem hohen Anteil politisch ausgewiesener Russland–Kenner gegründet und stets von hochrangigen Gästen beehrt, hatte nach Moskau Architekten wie Axel Schultes und Meinhard von Gerkan, Soziologen wie Hartmut Häussermann und Schriftsteller wie Peter Schneider geführt, die dort auf Gesprächspartner wie die Direktorin des Puschkin-Museums, Irina Antonowa oder den Präsidenten des Russischen Architektenverbandes, Jurij Gnedowskij, trafen. Und natürlich dabei war der Historiker Karl Schlögel, dessen Bücher unter anderem über Moskau hierzulande einen geistigen Kontinent ins Bewusstsein zurückgerufen haben.

Schlögel half denn auch, die auf den deutschen Blick so grobschlächtig wirkenden Umwälzungen des Moskauer Alltags zu interpretieren: als die Rückkehr bürgerlicher Individualität nach den Zwängen der Gemeinschaftswohnungen und der „Hölle der Metro“. Die russische Hauptstadt bündelt den Reichtum des riesigen Landes, sie wird mehr und mehr – wie mit hörbaren Seufzern formuliert wurde – zur „Hauptstadt der Reichen und Erfolgreichen“. Wohnungen werden zu Eigentum, die angestammten Bewohner verdrängt, wie es der ungezügelte Kapitalismus der Gegenwart mit sich bringt.

Die Moskauer Teilnehmer äußerten sich überraschend zurückhaltend zu diesen Umwälzungen wie auch zu den teils bizarren Vorhaben des machtbewussten Oberbürgermeisters Luschkow. Resignierend konstatierte der Schriftsteller und Stadtrat Jurij Bunimowitsch, die Situation zeige „die völlige Einigkeit zwischen Macht und Volk“.

Alexander Kudrjazew, Präsident des Moskauer Architekturinstituts, stand fassungslos vor dem täglich anschwellenden Individualverkehr – für ihn und alle „Modernisten“ sei bis weit in die Perestrojka hinein „die Priorität des öffentlichen Verkehrs sakrosankt“ gewesen. Lediglich der derzeit vonstatten gehende Abriss des scheußlichen „Intourist“-Hotels an der eleganten Hauptstraße Twerskaja fand allgemeinen Beifall, und ein Moskauer Diskutant wünschte sich dergleichen für den 3700-Zimmer-Klotz des „Rossija“, dem in den sechziger Jahren ein ganzer Stadtteil geopfert worden war.

Karl Schlögel – als Professor an der Viadrina-Universität von Frankfurt/Oder dem Osten auch räumlich so nahe als möglich – legte in elf Thesen die Entwicklung von der Nicht-Urbanität des Sozialismus zur Rückkehr städtischer Tugenden dar, wofür ihm das Café als Symbol diente. Die damit verbundene Frage nach den Formen der Öffentlichkeit in verschiedenen gesellschaftlichen Systemen hätte vertieft zu werden verdient – zumal sich Axel Schultes erneut darüber beklagte, „die“ Politik habe mit der Verhinderung des von ihm vorgeschlagenen „Bürgerforums“ vis-à-vis des Kanzleramtes ein „hausgemachtes Desaster“ hinterlassen, ja einen „Verrat an der Republik“ begangen.

Festwochen-Pläne

Dass die Diskussionsrunde unter dem Titel „Topographien der Macht“ wenig zu den in Moskau nicht nur allgegenwärtigen, sondern derzeit auch wieder in höchstem Kurs stehenden Zuckerbäcker-Bauten der Stalinzeit erbrachte, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Verunsicherung, die die russischen Intellektuellen angesichts der Rückwärtsgewandtheit der Lokalpolitik ergriffen hat.

Der Austausch, den das Deutsch-Russische Forum mit seinem beharrlichen Motor, dem Bremer Osteuropaforscher Wolfgang Eichwede, so intensiv betreibt, wird ein breiteres Publikum finden, wenn 2003 das von Rau annoncierte „Jahr der deutsch-russischen Kulturbegegnung“ stattfindet.

Die Berliner Festwochen werden im Zeichen von „Berlin – Moskau 1950-2000“ stehen, der Fortsetzung der vor sieben Jahren unternommenen Betrachtung der ersten Jahrhunderthälfte. Sogar ein Deutsches Historisches Institut in Moskau, so Rau, sei in konkreter Planung. Die „enorme Dynamik in beiden Städten“, die Eichwede resümierend feststellte, wird dem Forum auch weiterhin genügend Stoff liefern.

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