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Kultur: Aus einem Puppenheim

Beauty boomt: Das Berliner Haus der Kulturen der Welt sucht die Schönheit in der Kunst

Die Geschichte könnte zu Tränen rühren, würde man einfach nur von ihr lesen und sie nicht als Installation präsentiert bekommen. Vor fünf Jahren hat sie sich zugetragen, in der chinesischen Provinz Chashan, wo die 20-jährige Wang Hanyun auf dem Heimweg von der Arbeit überfallen und ihrer Augen beraubt wurde. Die Öffentlichkeit reagierte entsetzt; Hilfskampagnen wurden gestartet, um die medizinische Versorgung des Mädchens zu gewährleisten; die Polizei sucht bis heute nach den Tätern, die das Augenpaar vermutlich an den Organhandel verkauft haben.

Eine schreckliche, keine schöne Begebenheit. Und das Remake des chinesischen Künstlers Zhuang Hui lässt eher schaudern: Aus Plastikblumen hat er eine paradiesähnliche Passage geschaffen, in deren Mitte sich eine Puppe in Gestalt von Wang mit blutüberströmten Augenhöhlen befindet. Über der Szene schweben pinkfarbene Nylonwolken.

Über Schönheit lässt sich streiten. Zhuang Hui hat sie in dem Moment versucht festzuhalten, in dem sie für immer verloren ist – so viel steht fest. Über Schönheit lassen sich Ausstellungen machen, denn das Thema ist seit Mitte der Neunziger wieder en vogue – seit sich die allgemeine Vorstellung immer aggressiver in der Werbung und Populärkultur artikuliert, die Welt der Bilder sich immer schneller multipliziert, während die Kunst als einstiger Hort dieses hehren Gutes keine Verbindlichkeit mehr liefert und sich vom Erhabenen verabschiedet hat.

Die Jubiläumsausstellung zum 50. Geburtstag des Hirshhorn Museums in Washington mit dem programmatischen Titel „Regarding Beauty“ verhandelte die Schönheit und ihre ambivalente Erscheinungsformen in der Kunst allein mit westlichen Beispielen. Wu Hang, Direktor des Center for the Art of East Asia und Professor chinesischer Kunstgeschichte an der University of Chicago, holt nun zum Gegenschlag aus. Denn eine solche Sicht, so Hans-Georg Knopp, Intendant des Berliner Hauses der Kulturen, entspricht nicht mehr unserer kosmopolitischen Lebenswirklichkeit. Er hat Wu Hang als Kurator eingeladen, unter dem in alle Himmelsrichtungen offenen Dach der Kongresshalle eine Ausstellung zu organisieren, über die sich ebenfalls streiten lässt. Denn was, bitteschön, ist heute eigentlich Schönheit? Eine Qualität, die einer Person, einem Gegenstand von außen verliehen wird? Das Resultat von Kommunikation?

Salvador Dalí hatte dazu schon vor einem Dreivierteljahrhundert radikale Ansichten und pflegte den Furor der Avantgarde genüsslich. 1933 erklärte der Erfinder der schnurrbärtigen „Mona Lisa“: „Schönheit wird essbar sein oder gar nicht sein.“ Vielleicht ahnte er, dass das chinesische Schriftzeichen für Schönheit unter anderem gutes Essen bedeutet. Kurator Wu Hang greift nun weit in andere Kulturräume aus, insbesondere die asiatischen, um das Wesen der Schönheit auszukundschaften. 24 Künstler aus 16 Ländern hat er zusammengebracht.

Essbares findet sich unter den Gemälden, Skulpturen, Videos allerdings nicht, nur ein Schimmelbild der amerikanischen Fotografin Cindy Sherman mit pittoresk verfaulenden Speisen. Dennoch exerziert ein Großteil der Arbeiten das Thema Schönheit, vielmehr Anti-Schönheit, als körperliche Erfahrung durch. Zu den eindringlichsten Werken gehört die beschleunigte Videoinstallation „The Rite of Spring“ der Polin Katarzyna Kozyra, bei der alte, nackte Menschen zu Strawinsky-Musik als Abziehbilder des Ausdruckstanzes hin- und herhoppeln. Man könnte das zynisch nennen, ebenso die von Hans-Peter Feldmann herausgegebene Zeitschrift „Babel“, die allein aus Werbeaufnahmen für Schmuck und Kosmetika besteht. Und doch liefern beide eine treffende Momentaufnahme unserer gegenwärtigen Ästhetik und Ethik.

Die Ausstellung im Haus der Kulturen sprengt unsere landläufige Vorstellung vom Schönen. Mit Mühe entsprechen ihr noch die kostbaren Fotoabzüge in Silbergelatine oder Gummidruck des nigerianisch-britischen Duos Rotimi FaniKayode und Alex Hirst, die das Geheimnis des schönen Wilden zelebrieren. Oder die Selbstporträts das japanisch-chinesischen Künstlerpaares Rong Rong und Inri, das sich dem Berg Fuji anzunähern sucht. Splitternackt agieren die beiden mitten im Schnee vor großartiger Naturkulisse. Schönheit gewinnt hier eine räumliche Dimension und wird an Landschaft abgegeben. In ihren Schwarzweiß-Fotografien tarieren Rong Rong und Inri die Unterschiede zwischen westlicher und östlicher Auffassung von Schönheit aus: Im Westen definiert sich diese Kategorie körperlich, im Osten beginnt sie erst jenseits der Haut.

So bereiten dem westlichen Betrachter vor allem die räumlich-architektonischen Bearbeitungen von Schönheit die größten Verständnisschwierigkeiten. Denn was, bitteschön, haben die dekorativen Blumenmuster des taiwanesischen Künstlers Michael Lin auf dem Foyerboden mit Schönheit gemein? Oder das auf die Fensterfront geklebte bläuliche Rosettendekor der Algerierin Samta Benyahia? Die Erklärung ist häufig banal und zeigt nicht zuletzt die zaghafte Annäherung der Kunst an das einst verratene Schöne. Michael Lin zitiert Alltagskultur seiner Heimat, schlichte Stoffmuster, mit denen man einst in Taiwan die Schlafzimmer schmückte. Samta Benyahia spielt auf die symbolische Bedeutung der Rosette im Islam für Weisheit und Schönheit an.

So holt sich die Ausstellung von allen Weltenden etwas: einen Film des Amerikaners Matthew Barney und eine Videoinstallation Nam June Paiks, eine Plakataktion des Dänen Jens Haaning und eine Schaum produzierende Skulptur des Philippinen David Medalla. Ein kongruentes Bild von Schönheit ergibt das nicht. Es zeigt vielmehr das Bemühen heutiger Künstler um einen Gegenstand, den sie vor einem Jahrhundert noch sicher in Händen hielten und um den sie nun mit den populären Medien ringen. Würden sie sich einen Schönheitswettbewerb liefern, hätte die Kunst klar verloren. Doch diese Tränen sind längst geweint.

Haus der Kulturen der Welt, bis 15. Mai. Katalog 28 Euro.

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