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Kultur: Ausgeburten eines Menschen

„Arschmaler mit Sonnenstich“: Friedrich Schröder-Sonnenstern in Berlin

Vor dem Krieg pries er sich in einer Kontaktanzeige als „große sympathische Erscheinung, dunkel, mit feinster Wesensart, vorurteilslos“, außerdem sei er ausgestattet mit dem „natürlich sonnigen Wesen wahrer Herzensbildung“. Vielleicht hat er sich wirklich so gesehen. Als Heiratsschwindler übertölpelte er immerhin eine echte Baronin. Nach Anstaltseinweisungen und Straflager während der Nazi-Zeit machte er in den fünfziger- und sechziger Jahren Karriere als „Arschmaler mit dem Sonnenstich“, wie er im Berliner Volksmund genannt wurde. 1892 in Tilsit geboren und schon als Kind von der Mutter in eine Erziehungsanstalt gesteckt, war Friedrich Schröder-Sonnenstern nicht nur ein Mann mit Sonne im Herzen, sondern ebenso Zirkusjunge, Sektengründer, Wahrsager und Wanderprediger. Darüber hinaus war er überzeugt „im Grunde Komponist“ zu sein, weil er schon in den Dreißigern eine „Weltkomposition für ein Orchester mit dreihundert Musikern“ geschrieben hatte.

Seine Zeichnungen sorgten seinerzeit für Furore: Die „B. Z.“ schrieb 1960 nach einer geplatzten Ausstellung im Rathaus Kreuzberg, bei der Schröder-Sonnensterns Bilder als „unzüchtig“ abgehängt wurden: „Richtig so!“ Die Werke seien „Ausgeburten eines Kranken“ und „ihr malerisch-ästhetischer Reiz gleich Null“. Viele, darunter der Galerist Rudolf Springer, sahen das schon damals anders. Und die Arbeiten Schröder-Sonnensterns verkauften sich gut. So gut, dass der skurrile Kauz eine Werkstatt beschäftigte, die das Repertoire seiner Motive mit Schablonen immer neu wiederholte. Die Frage, was von des Meisters Hand und was so genannte „Schülerarbeiten“ seien, entscheidet heute über beträchtliche Preisunterschiede. Die jetzt in den Räumen von Irene Lehr angebotenen zwei Dutzend Arbeiten mit Preisen zwischen 3000 und 8000 Euro sind verhältnismäßig preiswert, wurden doch in letzter Zeit vergleichbare Blätter für rund 30 000 Euro gehandelt. Und die Bestimmung, wie viel von dem 1982 gestorbenen Schröder-Sonnenstern stammt, ist durchaus umstritten.

Die bei Lehr gezeigten Arbeiten bestechen durch leuchtende Farben und akkurate Formen. Etwa bei der „Dämonin der Eile aller mondmoralischen Schnelligkeitsgefühle und Liebeskünste“. Die „Dämonin“ mit den räderbesetzten Schlangenbeinen, Riesenbrüsten und -hinterteil und dem aus Vogelhälsen kombinierten Kopf mit wehendem Schweif ist von grotesker Komik und praller Sexualität. Die drastisch-übertriebenen Merkmale des weiblichen Geschlechts kombinieren sich von Bild zu Bild mal zur Dämonin, mal zur „Großen Mutter“, auch wenn jede dieser Figuren immer männliche und weibliche Attribute zugleich aufweist.

Schröder-Sonnensterns Bilderwelt ist ein Symbolkosmos. Inga Hägele, die sich in ihrer Doktorarbeit mit seinem Werk befasst hat, meint im Werk des Malers archetypische Symbole entdecken zu können. Tatsächlich findet man hier archaische und interkulturell gebrauchte Wesen, wie die Kreisschlange Uroboros, die sich in den Schwanz beißt, das Symbol für den noch undifferenzierten Urzustand. Gleichzeitig ist dieser allumfassende Urgrund aber auch Ausgangspunkt für die mannigfaltigen Verwicklungen des dualistischen Prinzips, aus denen die schimärenhaften Mischwesen Schröder-Sonnensterns erwachsen: die „mondmoralische Kurfürstendammsau“ genauso wie das „vierfache Fresswappen“.

Anders als sonst in der Art Brut haben diese Bilder eine sonnige und humoreske Note. Selbst die „Klapsmühle“ wirkt so grausam-komisch wie ein Kasperle-Theater. Schröder-Sonnenstern ist aber auch insofern eine Ausnahmeerscheinung in der Art Brut, da er keineswegs die Grundbedingung dieser von Jean Dubuffet 1945 eingeführten Klassifikation erfüllt: nämlich nicht für den Markt zu produzieren. Schröder-Sonnenstern war auf diesem Gebiet Profi, wenn auch ein sehr exzentrischer.

Heute sind die Preise für Werke der Art Brut dem Kunstmarkt angepasst. Und auch hier gibt es Stars. Der durch seine Ausstellung in den Berliner Kunst-Werken vor einem Jahr bekannt gewordene Henry Darger wurde erst im Januar bei Christie’s in New York für 85 000 Dollar zugeschlagen. Deutschland sei aber im internationalen Vergleich bei „Outsider Art“ – wie sie in Amerika auch heißt – immer noch Entwicklungsland, meint Susanne Zander, die sich mit ihrer Galerie in Köln auf Art Brut spezialisiert hat. Nächste Gelegenheit, nähere Bekanntschaft mit dieser besonderen Kunst zu machen, bietet sich vom 5. bis 9. April auf der Messe „KunstKöln“, wo neben den Schwerpunkten Editionen, Fotografie und „Kunst nach 1980“ ein von Susanne Zander kuratiertes Forum zur Art Brut präsentiert wird. Bis dahin mag man sich an Schröder-Sonnenstern Zeichnungen weiterbilden. Denn wie sagte der Künstler: „Bildung kommt her von Bild-ung, nicht von Schrift, dann müsste man ja Schrift-ung sagen“.

Dr. Irene Lehr Kunsthandel, Sybelstraße 68, bis 28. März; Montag bis Freitag 11–18.

Ronald Berg

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