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Der Graefekiez hat sich seit der Jahrtausendwende stark verändert.

© Kai-Uwe Heinrich

Ausgehen: Die Graefestraße in Kreuzberg: Das grüne Leuchten

In der Graefestraße war die Matilda einst die erste richtig gute Kneipe. Inzwischen gibt es sie nicht mehr. Der Fuchsbau ist eine akzeptable Alternative.

Als es mit der Nachlebenerweckung des Graefekiezes Anfang der nuller Jahre langsam losging, war die Matilda die erste wirklich überzeugende Café-Bar der Straße. Schlicht und geschmackvoll eingerichtet, gute Getränkeauswahl, ein Plattenspieler hinter der Bar, auf dem Soul- und Funkplatten abgespielt wurden. Die beiden netten aus Fulda zugezogenen Betreiber überstanden eine lange, nervenzerfetzende Auseinandersetzung mit ihrem Nachbarn, der wegen Ruhestörung ständig die Polizei rief. Teure Umbaumaßnahmen folgten, kurz darauf zog der Nachbar aus ...

Die Kneipe wurde ein Erfolg, ringsum machten weitere Bars auf, sogar ein Hostel eröffnete. Die Straße ist seither nachts – vor allem am Wochenende – deutlich belebter als in den neunziger Jahren. Fast so, als sei mit dem grün leuchtenden Quadrat an der Fassade der Matilda auch das Licht für die Gentrifizierung des Kiezes auf Grün gesprungen. Die Macher des Ladens verloren allerdings selbst irgendwann den Spaß an ihrer Erfindung, zu voll, zu viel, zu stressig. Sie zogen sich zurück. Und die Matilda trat in eine traurige Studi-Café-Phase ein, die mittlerweile durch die dritte Inkarnation des Ladens beendet wurde. Das Quadrat an der Fassade ist nun schwarz eingefärbt. "Filterhouse" steht drauf, was allerdings weniger mit dem gleichnamigen Tanzmusik- Genre zu tun hat, als mit Kaffee, der hier auf superschicke, aromafördernde Art gefiltert wird. Irgendwas mit Kunst und DJs machen sie natürlich auch – am heutigen Freitag ab 19 Uhr gibt es zum Beispiel eine Fotoausstellung plus Party.

Im Winter strahlt der Fuchsbau etwas Urban-Melancholisches aus

Gegen die Phantomschmerzen, die das Verschwinden der Matilda ausgelöst hat, hilft es, die Straße weiter runterzulaufen, vor bis zum Landwehrkanal. An der Planufer-Ecke ist der Fuchsbau, der Name stammt noch von der Kiezkneipe, die vorher hier residierte. Daran erinnern höchstens noch die schlichten Holzstühle. Sie passen gut zur geschwungenen Bar, den Dielen und der Schummerbeleuchtung. Ein bisschen Patina gibt’s dank der vielen Raucher auch schon. Selbst die Lilien-Deko ist unaufdringlich, der Service schnell und freundlich.

Sitzt man am Tresen, hat man durch das große Fenster neben der Tür einen guten Blick rüber zur Kreuzung am Kottbusser Damm und kann der Ampel beim Umspringen zuschauen. Aus der Entfernung wirkt das wie eine einsame Lightshow für die Nachtschwärmer im Fuchsbau. Im Winter hat der Laden – ohne den Trubel auf der Terrasse – tatsächlich etwas von einem anheimelnden Bau, der zugleich etwas leicht Urban-Melancholisches ausstrahlt. Mit ein bisschen Jazz oder Soulmusik wäre die Sache perfekt, leider läuft schon den ganzen Abend so ein belangloses Electro- und Technozeugs. Eine zeitvergessene Festtrinkstimmung will da nicht aufkommen, was auch daran liegt, das viele der auffallend gut aussehenden Gäste schon gegen Mitternacht beginnen, ihre Mäntel anzuziehen und ihre Stoffbeutel zu schultern. Man ist ja vernünftig und geht unter der Woche früh ins Bett.

Die Ampel schaltet auf Grün.

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