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AUSGEHEN: Wild und ungeschönt

Uns ist einfach nicht zu trauen. Zu jeder Tages- und vor allem Nachtzeit würden wir treuen Augenaufschlags behaupten, dass wir das Ungeschönte jeder Nettigkeit vorziehen.

Uns ist einfach nicht zu trauen. Zu jeder Tages- und vor allem Nachtzeit würden wir treuen Augenaufschlags behaupten, dass wir das Ungeschönte jeder Nettigkeit vorziehen. Wenn’s aber zum Schwur kommt, dann möchte bitte alles problemlos zu verknüpfen sein mit dem, was man immer schon zu wissen glaubte. Das gilt insbesondere für den weintrinkenden Menschen, der längst gewohnt ist, selbst an der Tanke jederzeit polierten Stoff zu bekommen. Ihm stehen ab jetzt aufregende Nächte bevor: Mit dem Maxim hat in der Stadt erstmals eine Weinbar eröffnet, die sich mit vollem Kühlschrank und offenem Herzen Getränken widmet, die als vins naturels bereits in Paris und London für Furore sorgten.

Trüb oder gar schlammig können sie im Glas aussehen, mal stechend orange schimmern oder nach Stall riechen. Darüber hinaus verändern sie sich auch noch mit jedem Schluck. Vins naturels sind wilder Wein, so ungeschönt es nur irgend geht. Wer sich ihnen widmet, lernt viel über die Grenze zwischen Provokation und Offenbarung. Barchef Maxime Bolliat sorgt für einen entspannt-ideologiefreien Zugang zu neuen Trinkerfahrungen. Der studierte Archäologe aus dem französischen Jura hat sich als DJ und Szenegastronomieinnovator durch Berlins Nachtleben geackert. Eines hat ihn dabei nie verlassen: die Neugier auf Wein.

Zur Eröffnung zieht Maxime ein frankophiles Publikum in die Gormannstraße 25, das weit über die bekannten Statustrinker hinausreicht. Schweißgebadet wie auf dem Tanzboden probiert man Weine, die passenderweise auch viel weniger müde machen als konventionelle Brummer für Ledersesseltrinker.

Da steht plötzlich ein Mann im Bademantel in der Tür: Die Laute, die er ausstößt, lassen sich nur als ultimative Unmutsäußerung deuten. Es ist Freitagnacht in Mitte, gar nicht mal spät, draußen wird nicht gelärmt. Das muss der Mann im Bademantel wissen, schließlich hat er mit geballtem Lärm mal Neubauten zum Einsturz bringen wollen. Wirt Maxime lächelt verlegen: „Er war ein Idol meiner Jugend.“ Andere haben den Bademantelträger gerade auf die Liste der peinlichsten Berliner gesetzt: begeistert sich für Streicherarrangements, jettet in der Welt umher, gibt den Gourmet – so lautet die Liste der Verfehlungen. Bürgerschreck lass nach! Wer in Luxus-Neubauten wohnt, will nicht, dass sie einstürzen. Und wer vins naturels trinkt, versteht mehr vom Naturell des Menschen: Uns ist einfach nicht zu trauen.

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