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Ausnahmezustand als Normalität: Tükisches Militär und Selfie-Fotografen am Taksim-Platz in Istanbul, am Donnerstag den 21. Juli.

© dpa

Ausnahmezustand in der Türkei: "Erdogan will eine Meinungsdiktatur errichten"

Programme sind abgesagt, Stipendiaten werden in die Türkei zurückbeordert: Das Goethe-Institut, das PEN-Zentrum und andere Bildungs- und Kultureinrichtungen sorgen sich um die Lage der Intellektuellen und Akademiker in der Türkei.

Die Angst nicht nur unter Militär-Angehörigen, sondern auch unter Intellektuellen und Künstlern wächst in der Türkei. Ebenso die Sorge ausländischer Kulturorganisationen über die Folgen des Erdoganschen Durchgreifens nach dem Putsch. Kaum jemand mag sich kritisch zur Erdogan-Linie zu äußern, auch außerhalb der Türkei nicht - aus Sorge um Verwandte und Freunde im Land. Oder man verzichtet zur Zeit auf Reisen in die Türkei, aus Sorge um die eigene Sicherheit.

Der Präsident des Goethe-Instituts, Klaus-Dieter Lehmann, sieht unter anderem die Auswirkungen des Ausreiseverbots in der Türkei für das gesamte Lehrpersonal von staatlichen und privaten Einrichtungen mit wachsender Sorge. "Wissenschaft und Bildung leben von Internationalität und Offenheit", heißt es in einer Mitteilung des weltweit tätigen Kulturinstituts. Derart weitreichende Restriktionen gefährdeten die bislang bestehenden und Nutzen stiftenden Verbindungen nachhaltig.

Konkret wurden türkische Stipendiaten von Förderprogrammen des Goethe-Instituts zurückbeordert. Auch können Residenz- und Jugendprogramme teilweise nicht durchgeführt werden. So wurden zwei (von 29) Jugendkurs-Stipendiatinnen aus Ankara an der Passkontrolle zurückgewiesen, eine Trainerin aus der Türkei kann eine vorgesehene Seminarleitung nicht übernehmen. Ein Lehrer, der zur Zeit am Aufbauseminar in Schwäbisch-Hall teilnimmt, wurde zurückbeordert, er reist am Samstag ab. Auch andere türkische Teilnehmer und Teilnehmerinnen an Seminaren in Deutschland reisen wohl ab, wie eine Sprecherin des Instituts auf Nachfrage mitteilte. Die sechs deutschen Stipendiaten, die sich derzeit in der Villa Tarabya, der Goethe-Kunstakademie am Rande von Istanbul aufhalten, sind allerdings weiter vor Ort. Ihr Programm läuft regulär weiter, auch wenn derzeit keine Konzerte oder Veranstaltungen der Goethe-Institute in Istanbul und Ankara stattfinden.  

Des weiteren musste eine Austausch-Residenz für türkische und deutsche Fotografen in Bremen und Izmir für den Bremer Teil abgebrochen. Ein vollständiger Überblick liegt der Goethe-Zentrale derzeit noch nicht vor, gewöhnlich halten sich um diese Zeit rund hundert türkische Teilnehmer von Goethe-Programmen in Deutschland auf.  

Nach Auskunft des Regionalleiters Südosteuropa, Matthias Makowski, sind auch Bildungsprojekte des Instituts für syrische Flüchtlinge kaum noch möglich. Die NGOs, mit denen Goethet zusammenarbeitet, setze man derzeit einer Gefahr aus, wenn man die Kontakte intensiviere. Eigentlich will das Goethe-Institut in Ankara, bislang gut integriert in der Türkei, nächstes Jahr sein 60-jähriges Bestehen feiern.

PEN-Präsident Haslinger: Erdogans Ziel ist eine "Meinungsdiktatur"

Auch das PEN-Zentrum macht sich Sorgen, vor allem um die Lage von Journalisten und Intellektuellen in der Türkei. Es sei mit einer verschärften Verfolgung von Intellektuellen zu rechnen, sagte der Präsident des deutschen Zentrums, Josef Haslinger. Erdogan habe jegliche Opposition ausgeschaltet, eine „Meinungsdiktatur“ sei immer schon dessen Ziel gewesen. Es gebe in der Türkei keinerlei kritische Presse zum Vorgehen des Staatschefs, „weil die, die jetzt noch nicht entlassen sind, sich nicht trauen“.

Seit der Entlassung von zehntausenden Lehrern, Richtern und dem Ausreiseverbot von Hochschul-Akademikern in der Türkei als Reaktion auf den Putschversuch am vergangenen Wochenende rechnet "Pro Asyl" außerdem mit der Flucht von Akademikern. Viele Wissenschaftler würden voraussichtlich aus dem Land fliehen und auch in Deutschland um Asyl bitten. „Die Entlassungen und Verfolgungen bedeuten für viele praktisch eine Existenzvernichtung“, sagte der stellvertretende Geschäftsführer Bernd Mesovic der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ . Der Leiter des Zentrums für Türkeistudien in Essen, Halil Usculan, sagte dem Blatt, die Türkei riskiere mit den Massenentlassungen „den Bildungsrückstand einer ganzen Generation“.

Kooperationsprojekte des Bundesbildungsministeriums werden auf ihre Realisierung geprüft

Das Bundesbildungsministerium äußerte sich auf Anfrage von epd ebenfalls besorgt über das Ausreiseverbot. Es werde geprüft, ob sich geplante Kooperationsprojekte unter den Umständen noch verwirklichen lassen, erklärte ein Sprecher. Das Ministerium unterstützt unter anderem die Türkisch-Deutsche Universität in Istanbul. Dem Ministeriumssprecher zufolge gilt für deutsche Angestellte eine Ausnahmeregelung. Sie könnten dienstliche Aufträge planmäßig beenden und auch Neuanträge stellen, die individuell bewilligt werden können. Für türkische Angestellte gelten jedoch wie für andere Akademiker eine Urlaubssperre, manchmal auch andere Restriktionen. Tsp/epd

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