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Außer Konkurrenz: Keiner flog über das Kuckucksnest

Geschlossene Anstalt: Martin Scorseses Gruseldrama "Shutter Island".

Besessenheit ist wohl das Lebensthema des großen amerikanischen Regisseurs Martin Scorsese. Da gibt es den jungen, von Erlösungsphantasien gepeinigten Robert de Niro in „Taxi Driver“, den ebenfalls von de Niro verkörperten Boxer, der nicht aufhören kann, in „Raging Bull“, die manischen Billardspieler in „The Color of Money“, den selbstzerstörerischen Killer in „Cape Fear“, irgendwie passen sogar die Rolling Stones in diese Reihe, „Shine a Light“, die Band, die sich dem Altern verweigert. Und dann gibt es natürlich das geschlossene System der Mafia, in dem einige der besten Scorsese-Filme angesiedelt sind, ein System, das Ausbruchsversuche mit dem Tod bestraft.

Wer sich den Kosmos Scorseses in Erinnerung ruft, der stellt sich irgendwann die Frage, wieso dieser Mann eigentlich noch nie einen Film gedreht hat, der auf einer Insel spielt, ohne Möglichkeit der Flucht, ein Ort wie die Mafia. Und voller Wahnsinniger, sozusagen mit den ins Extreme verschärften Figuren seiner früheren Werke, Gefangene im doppelten Sinn, seelisch, als von ihren Zwangsvorstellungen Besessene, und körperlich, als Häftlinge. Wäre das nicht die Essenz seines Werkes? Jetzt hat er diesen Film gemacht.

„Shutter Island“ beruht auf dem 2003 erschienenen Roman von Dennis Lehane, der auch die Vorlage zu Clint Eastwoods „Mystic River“ geschrieben hat. Leonardo DiCaprio spielt den Marshal Teddy Daniels, der sich mit einem Kollegen zu dieser Insel übersetzen lässt, einer Klinik für geisteskranke, als gefährlich eingestufte Verbrecher. Dort soll er das mysteriöse Verschwinden eines weiblichen Häftlings untersuchen. Wir befinden uns im Jahr 1954, und die Psychiatrie ist gerade dabei, sich von den folterartigen Behandlungs- und Operationsmethoden der vergangenen Jahrzehnte zu lösen. Die ersten Psychopharmaka sind erfunden und werden erprobt. Daniels stößt auf ein nur mäßig kooperationswilliges Ärzteteam, den undurchschaubaren Klinikchef spielt Ben Kingsley. Einen der Ärzte, den bei weitem unangenehmsten, gibt der alte Max von Sydow. Alles riecht nach Verschwörung!

Zusätzlich erschwert wird die Arbeit des Marshals durch die traumatischen Erinnerungen, die in ihm herumspuken, an den Tod seiner Frau, und an die Befreiung des Lagers Dachau, die er als US-Soldat erlebt hat. Er war an der Erschießung des deutschen Wachpersonals beteiligt – oder nicht? Gut und böse, real und irreal, wahr und falsch verschwimmen recht bald. Scorsese hat sich stilistisch von Filmen, auch Horrorfilmen, der vierziger und fünfziger Jahre inspirieren lassen, man denkt aber auch häufig an Stanley Kubrick, an die Klaustrophobie von „Shining“ und die Wahnsinnsvisionen von Jack Nicholson.

Dieser Vergleich fällt leider zu Ungunsten von „Shutter Island“ aus. Scorsese gibt zu früh und zu lang Vollgas, was bewährte Effekte und ihre hier oft allzu aufdringliche musikalische Untermalung betrifft. Der Reiz von halbdunklen Räumen in alten Gemäuern, von Schreien und rinnendem Blut, von Figuren, die dem Helden aus dem Off überraschend an die Kehle springen, all das erschöpft sich, für halbwegs erfahrene Kinogänger, doch recht schnell. Die Dramaturgie und die Bilder sind, trotz sparsamer Beleuchtung, schnell durchschaut, einem B-Picture würde man das natürlich durchgehen lassen. Was der Film dagegen mit seinen Verweisen auf Dachau und die Nazis genau sagen möchte, hat zumindest dieser Kritiker nicht begriffen, vielleicht sind Nazis inzwischen auch einfach nur ein bewährter Horroreffekt.

Der Plot bringt am Ende immerhin eine echte Überraschung, die natürlich nicht verraten wird, aber auch das wird breiter erzählt und konventioneller bebildert, als man es gerne hätte. Auch Horrorfilme können erstaunlich langweilig sein, und auch der für seinen Perfektionismus berühmte Martin Scorsese kann, unterstützt von großartigen Schauspielern, eine mittelmäßige Arbeit abliefern.

Heute 15 Uhr (Friedrichstadtpalast) u. 22.30 Uhr (Urania), 21.2., 12.45 Uhr (Friedrichstadtpalast

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