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Filmkritik: "Villa Amalia": Aussteigen!

Das Handy wegwerfen und einfach losreisen: In Benoît Jacquots Film „Villa Amalia“ sieht man Isabelle Huppert beim Aussteigen zu.

Wer wollte das nicht mal: aussteigen über den All-inclusive-Urlaub hinaus, eine Auszeit nehmen über das exakt bemessene Sabbatjahr hinaus, ein neues Leben anfangen über den bloßen Anfang hinaus. Raus aus der Wohnung und das Mobiliar verkaufen, die Internet-Connections kappen, das Handy wegwerfen. Und losreisen mit möglichst leichtem Gepäck, schön wär’s.

Die Pianistin und Komponistin Ann (Isabelle Huppert) tut das alles, regelt ihr Luxusleben runter auf das Aussteigerleben mit mediterranem Inselhäuschen am Hang und unverbaubarem Blick übers Meer. Der Anlass? Sie ertappt, auf leiser nächtlicher Autoverfolgungstour durch Pariser Vorstädte, ihren Mann Thomas (Xavier Beauvois) mit einer anderen. Ein Kuss an einer Wohnungstür, das ist alles, was sie sieht, und da steht auch schon Georges (Jean-Hugues Anglade), ein Sandkastenfreund, auf der Straße. Ob sie einen Einbruch plant, fragt er die Spähende. Und sie nur, heiß und kalt erwischt: „Genau.“

Nein, der sanfte, vielleicht sogar schwule, rätselhaft bleibende, vor allem großzügige Georges wird nicht Thomas' Nachfolger. Sondern, eines Tages dort im Süden, eine gewisse Giulia (Maya Sansa). Oder ist alles nur ein Traum, wie der Verleih hilfreich suggeriert? Oder vielleicht auch nicht, wie die feinsäuberlich voranschreitende Erzählweise des Regisseurs Benoît Jacquot nahelegt?

„Villa Amalia“ fängt schön an: schnell und hart und klar. Weil der Film sich aber bald aller Welt entledigt hat und es womöglich doch nicht genügt, Isabelle Huppert beim bloßen Durchmenschenhindurchsehen 91 Minuten lang zuzusehen, kommt ein bisschen Drama auf, wie Wind. Und noch mehr Drama, noch mehr Wind. Das tut dem Film, dessen Hauptfigur ausdrücklich kein Drama macht um sich und niemanden sonst, nicht unbedingt gut. Sollte also „Villa Amalia“, der das Aussteigen zu preisen scheint und die Einsamkeit, denn doch ein Einsteigerfilm sein, dringend und jetzt und sofort, weil im Leben bekanntlich immer was los sein sollte, und sei es irgendwas?

Jean-Hugues Anglade macht seine Sache als linkisches Gutmenschengespenst namens Georges sehr gut, und Isabelle Huppert bleibt auch in so einem Film sowieso nichts anderes übrig, als grandios zu sein. Nur Klavierspielen kann sie nicht spielen, selbst wenn man die Hände nicht sieht: seltsam expressive Schulterarbeit an den falschen Stellen. Andererseits: Gibt es Pianistinnen, die, bevor sie sich ihres Mobiltelefons im Überlandzugklo entledigen, mit dem Nokia-Originalklimpern ihres Handys zufrieden sind? Wahrscheinlich auch dies ein Hinweis, dass man „Villa Amalia“ bitteschön nicht eins zu eins lesen möge, sondern am besten als Fantasie oder Traum. Oder als Albtraum, je nachdem. Jan Schulz-Ojala

Omu: fsk am Oranienplatz, Hackesche Höfe

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