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Auch unter den Nationalsozialisten wurde bereits mit Aufklebern gehetzt - damals gegen die Juden.

© Deutsches Historisches Museum

Ausstellung "Angezettelt" im DHM: Zeichen an der Wand

„Angezettelt“: Das Deutsche Historische Museum zeigt politische Aufkleber der letzten 130 Jahre. Dabei zeigt sich, wieviel Energie diese kleine Exponate entfalten können.

Kioske sind Orte, an denen sich der Zeitgeist verdichtet. Im Deutschen Historischen Museum hängt das gigantisch aufgeblasene Schwarzweißfoto eines Kreuzberger Imbisses aus den achtziger Jahren. Ein paar Leute stehen davor, beißen in Bratwürste und trinken Bier aus der Flasche. Die Szenerie erinnert an die Fernsehserie „Drei Damen vom Grill“. Bloß gemütlich ist es nicht. Denn an dem wandgroßen Foto stecken hinter Plexiglas einige Aufkleber, die an diesem Treffpunkt oder an den Laternenmasten davor hätte haften können. Die markigen Parolen lauten „Man kann wieder wählen! Man wählt NPD“, „Unsere Väter waren Helden“ oder, besonders retro, „Deutschland, Deutschland über alles“. Eine kleine Geschichte des Nachkriegsrechtsradikalismus, von der NPD über die DVU zu den Republikanern.

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„Angezettelt“ heißt die sehenswerte Ausstellung, die antisemitische und rassistische Aufkleber von 1880 bis heute präsentiert. Sie erzählt vom Aufstieg des Radikalismus, vom Weg in den Terror und zum Völkermord und schafft es, dabei noch einmal eine andere, ungewöhnliche Perspektive einzunehmen. Denn die Exponate könnten kleiner und unscheinbarer kaum sein. Es sind Zettel, wie sie auf Wände oder Briefe geklebt werden, mit ihnen geht die Propaganda in den Nahkampf. „Die Juden sind unser Unglück“, „Arierblut – höchstes Gut“ oder, ganz aktuell, „Refugees not welcome“ steht beispielsweise auf ihnen.

Wut, Hass und Ressentiment äußern sich in diesem Medium ganz direkt und ungefiltert. Es zeigt sich der Abgrund der Zivilisation. Oft haben die Aufkleber Aufrufcharakter, es geht darum, eine Auseinandersetzung nicht mehr mit Worten fortzusetzen, sondern mit den Mitteln der Gewalt. „Sieht man am Laternenmast einen Aufkleber, trifft man auf gebündelte Energie“, sagt die Kuratorin Isabel Enzenbach. Die Sticker markieren Reviere und machen gezielt Angst. Eine von den Ausstellungsmachern befragte Sozialarbeiterin aus Hoyerswerda beobachtete, dass die Aufkleber für Flüchtlinge wie ein Wegweiser funktionieren. Wo sie kleben, sollte man sich besser nicht aufhalten.

Parolen für die Straße: Rassistische Aufkleber und Gegenpropaganda aus den letzten hundert Jahren.
Parolen für die Straße: Rassistische Aufkleber und Gegenpropaganda aus den letzten hundert Jahren.

© Deutsches Historisches Museum

Die Ausstellung beginnt mit dem postergroßen Bild eines norddeutschen Provinzbahnhofs aus den frühen dreißiger Jahren. Darauf angebracht sind kleine Zettel, die meisten mit antisemitischen Parolen: „Schützt das deutsche Vaterland. Befreit es aus der Judenhand!“, „Los von Juda!“ oder „Kauft nicht bei Juden“. Aus dem Boykottaufruf machten die Nationalsozialisten eine gewalttätige Kampagne. Fotos zeigen SA- und SS-Männer, die im April 1933 die Schaufenster von jüdischen Geschäften mit „Deutsche! Wehrt Euch!“-Plakaten bekleben. Wer dort trotzdem einkaufte, musste damit rechnen, verprügelt oder verhaftet zu werden.

"Freifahrtscheine nach Jerusalem" gab es schon zum Ende des 19. Jahrhunderts

Der Begriff „Antisemitismus“ wurde um 1879 geprägt, extreme Nationalisten begannen, Juden nicht mehr religiös, sondern rassisch zu definieren. Viele Slogans, die später von den Nationalsozialisten aufgegriffen wurden, waren bereits um die Jahrhundertwende virulent. Das Hotel „Kölner Hof“ in Frankfurt am Main wirbt bereits um 1895 damit, „judenfrei“ zu sein, muss nach einer Intervention des liberalen Magistrats allerdings entsprechende Hinweise von seiner Fassade entfernen. Ungefähr zur gleichen Zeit tauchen im Deutschen Reich „Freifahrtscheine nach Jerusalem“ auf, die jüdische Bürger zur Ausreise auffordern. Hundert Jahre später wird die NPD ähnlich gefakte „Rückflugtickets in die Heimat“ an Haushalte mit türkischen oder arabischen Nachnamen verschicken.

„Die Nazis sind unser Unglück“, lautet die Botschaft, die als Banderole einen Aufkleber mit einer Hitler-Karikatur umschließt. Es ist ein Akt der Notwehr, die Umkehrung von Heinrich von Treitschkes berüchtigter Diagnose „Die Juden sind unser Unglück“. Nach dem Ersten Weltkrieg brachte der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens Zettel mit Losungen wie „Der Antisemitismus ist der Sozialismus der Dummköpfe“ in Umlauf.

Die Ausstellung zeigt viele Beispiele solcher Gegenpropaganda, etwa einen Klebestreifen, der angebracht werden sollte, wo die NSDAP Veranstaltungen mit dem Hinweis „Juden haben keinen Zutritt“ ankündigte: „Denn beim Lügen möchten wir ungestört bleiben.“ Doch der Antisemitismus überlebte selbst den Völkermord. Bereits Ende 1945 tauchten an einer Münchner Gaststätte, die von einem jüdischen Inhaber betrieben wurde, Pappschilder auf, die verkündeten: „6 Millionen Schmarotzer wurden vertilgt. 6 Millionen Juden wurden zu wenig vergast!“

Zu den Helden der Ausstellung zählt die Pädagogin Irmela Mensah-Schramm. Seit 1986 ist die inzwischen 70-jährige Aktivistin mit Spachtel und Spraydose auf den Berliner Straßen unterwegs, um rechte Aufkleber zu entfernen und Graffitis zu übertünchen. Vorher dokumentiert sie jedes Objekt mit der Kamera. 78 Aktenordner von ihr füllen eine Vitrine. Hass in Klarsichthüllen.

Deutsches Historisches Museum, bis 31. Juli, täglich 10–18 Uhr.

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