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Ausstellung: Ankunft ungewiss

Mit der Ausstellung „Neue Heimat“ verabschiedet sich Direktorin Ursula Prinz von der Berlinischen Galerie. Ihre letzte Ausstellung zeigt emotionale Beiträge zum Thema Heimat.

Keuchend rennt der junge Mann die um ein gläsernes Hochhaus führende Treppe nach oben, reißt sich Hemdkragen und Krawatte auf. Er rennt und rennt, mal ist es Nacht, dann schneit es, plötzlich steht er seinem eigenen Wiedergänger gegenüber. Dieser Weg wird für ihn niemals enden, denn schon beginnt der Film des Künstlerpaars Nina Fischer und Maroan el Sani wieder von vorn. Heimat kann es für diesen modernen Sisyphos nicht geben; sein vergeblicher Versuch anzukommen, betont vielmehr die Ortlosigkeit. Auch die kleinen, übereinander gestapelten Häuschen von Paul Ekaitz, deren Innenräume mal in Gelb, Grün, Rot erglänzen, bilden noch kein Zuhause. Vielmehr sind es Nachbauten von Kreuzberger Wohnungen, in denen Freunde des gebürtigen Spaniers leben. Heimat manifestiert sich für ihn dort, wo nahestehende Menschen zu finden sind.

Das Thema ist in der Literatur, im Film, in der Kunst derzeit populär. Wohl nicht von ungefähr, wenn rund um den Globus Hunderttausende durch Krieg, Hungersnöte, Naturkatastrophen zur Migration gezwungen sind, wenn überhaupt Mobilität zu den Merkmalen unserer Zeit gehört. Künstler reagieren darauf besonders stark, denn den meisten von ihnen ist der permanente Standortwechsel in die Biografie eingeschrieben. In Berlin leben besonders viele von ihnen; die Stadt ist ein Anziehungspunkt für Maler, Bildhauer, Videoartisten aus der ganzen Welt. Eine Ausstellung zu genau dem Thema mit Berliner Künstlern liegt auf der Hand. Nach den reinen Bestandsaufnahmen der jüngsten Zeit, wie viele tolle Künstler noch in dieser Stadt ein Atelier haben, ist eine inhaltliche Auseinandersetzung überfällig.

Ursula Prinz von der Berlinischen Galerie hat mit ihrer Ausstellung „Neue Heimat“ diesen Anspruch an die Berliner Institutionen nun eingelöst. Und doch beschleicht den Betrachter das Gefühl: zu spät. Denn die stellvertretende Direktorin des Museums für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur gibt nach dreißig Jahren zugleich ihren Abschied. Was nach ihr kommt, bleibt ungewiss. Direktor Jörn Merkert erklärte gestern bei der Eröffnung die „Neue Heimat“-Schau geschickt zum Neuanfang. Der „Now“-Ausstellungsraum für Aktuelles werde nach dem Fortgang von Prinz zwar geschlossen, aber dafür gebe es alle zwei Jahre eine ähnliche Überblicksausstellung, wenn auch zunächst für die Fotografie und Architektur. Für die aktuelle Bildende Kunst also erst wieder in sechs Jahren! Was sich die Berlinische Galerie durch die kontinuierliche Arbeit von Ursula Prinz und ihre Schau erworben hat, gibt man nun leichtfertig dahin. Denn eine Galerie wird nun einmal daran bemessen, was sie zeigt.

Heimat, das war einmal

Mag sein, die Künstler schert es wenig, denn sie ziehen nach dem Diktum der Heimatlosigkeit ohnehin weiter. Umso mehr müsste gerade die Berlinische Galerie mit ihrem programmatischen Namen um ihr Bleiben werben, zumindest um ihr Werk. Eines der schönsten Bilder für die permanente Unstetigkeit fand die palästinensische Bildhauerin Mona Hatoum. Zwischen zwei Straßensperren lässt sie an Drahtseilen Tisch, Stuhl, Koffer, den gesammelten Hausrat hin- und herfahren. Prompt stellen sich Bilder von Flüchtlingscamps ein. Auch der aufblasbare Panzer von Michael Sailstorfer, der in Kriegsgebieten tatsächlich zur Desorientierung von Aufklärungsfliegern eingesetzt wird, spielt auf dieses Schicksal an. Ebenso das aus gebrauchten Kleidungsstücken gebaute Zelt von Costa Vecce, die Kleider sind zugleich in den Farben der Nationalflaggen gehalten. Von den ehemaligen Trägern steht nur noch der Körpergeruch stickig im Raum – und die vage Vorstellung, was aus ihnen geworden ist. Heimat, das war einmal.

Die Ortlosigkeit hat auch ihren Vorteil. Sie bringt Fragen des Lebens auf den Punkt. Die finnische Künstlerin Tea Mäkipää skelettierte das Haus von Freunden in Helsinki bis auf die elektrischen Leitungen und Rohre, so dass im Entree der Berlinischen Galerie die Funktionsstränge eines Heims zu sehen sind, an denen mal ein Vogelkäfig, mal ein Kronleuchter baumelt. Der Japaner Takehito Koganezawa reagierte auf die Bitte um einen Ausstellungsbeitrag mit den wegwerfenden Worten „I have no idea“. Seiner Lichtinstallation aus farbigen Neonlocken verlieh er wie zum Trotz genau diesen Titel. Statt Heimat gibt es nur ein buntes Irgendwo. Strotzende Fantasie hat ihren Preis.

Dass diese Freiheit in die nächste Enge, ein andere Reglementierung führen kann, zeigt Eva Grubingers bildstarke Aufstellung von flexiblen Absperrgurten, wie man sie vom Flughafen oder von Museumseingängen kennt. Wo Eva Grubinger Leere lässt und das Fernweh als den entgegengesetzten Ort der Heimat nennt, zeigt die Videoinstallation von Maria Vedder das Tripp-Trapp laufender Füße, die sie von unten durch die gläsernen Bodenplatten eines Flughafens gefimt hat. Auch hier gibt es kein Ziel, nur das Auf und Davon, gefasst in eine schmerzlich-schönen ästhetische Strenge, die jeglicher Heimattümelei entgegensteht.

Die Ausstellung gewinnt dort ihr stärkstes Profil, wo die Beiträge das Thema Heimat emotionalisieren. Immer dann, wenn sie den Betrachter mit existenzieller Erfahrung packen, gelingt der Sprung vom Privaten ins Politische.

Berlinische Galerie, Alte Jakobstr. 124 - 128, bis 7. Januar 2008. Mi – Mo 10-18 Uhr. Katalog 19,80 €.

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