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Ausstellung: Das Summen der Transformatoren

Als hätte jemand den Times Square durch den Mixer geschickt: Anselm Reyle in der Berliner Galerie Bastian.

Es scheint nichts zu geben, das Anselm Reyle nicht kann. Abstrakter Expressionismus, Formalismus, Minimalismus: Alles wird in seinem Atelier mit profanen Materialien wie Silberfolie oder Leuchtfarben zu Bastarden verschweißt. Reyle hat viel von der Freiheit und dem Humor Sigmar Polkes, doch greift er lustvoller ins Plakative aus. Er suche das Klischee, hat er mal gesagt, „um es neu zu beseelen“.

Viele Gegenwartskünstler übten sich in den letzten Jahren in Rückbetrachtungen der Moderne. Aber kaum jemand macht das so lässig wie Reyle und schafft dabei so attraktive Objekte. So wurde der gebürtige Tübinger zum teuer gehandelten Sammlerliebling, der in seiner Kreuzberger Werkstatt zeitweise 50 Assistenten beschäftigte. Christian Boros hat ihn in seinem Bunker, Céline und Heiner Bastian zeigen ihn nun im Chipperfield-Bau am Kupfergraben.

In ihrem Galerieraum hat Anselm Reyle eine seiner Lichtinstallationen eingerichtet. Sie sieht aus, als hätte jemand den New Yorker Times Square in den Mixer gesteckt und einmal durch den „Wassily Kandinsky“-Modus gejagt. An Kabeln und dünnen Ketten hängen vielförmige Leuchtstoffröhren von der Decke und füllen den Raum mit knallbunten Farben, die sich im Boden und den verdunkelten Fenstern spiegeln. Teils fügen sich die Formen zu Buchstaben, selten zu Sinneinheiten, meist hängen sie wild durcheinander, in fließenden Übergängen zwischen Geste, Grafik und Graphem. Ein schöner, geplant-beiläufiger Wirrwarr. „Arise“ heißt die Arbeit, wie „entstehen“ oder „Erhebt Euch“. Man kann sich das Rasseln und Klappern vorstellen, zöge ein Marionettenspieler von oben an den Ketten und Kabeln und brächte das fröhliche Durcheinander mit ein paar Rucken wieder in strenge Ordnung. Stattdessen regieren hier Schwerkraft und Strom.

Reyles Kunst ist eine des gestörten Gleichgewichts. Jede Geste wird so weit getrieben, dass sie kippt und dabei allen subjektiven, sinnstiftenden Ballast verliert. Form und Brechung, Glamour und Absturz, Tradition und Trash sind zusammengezwängt zu funkenschlagenden Friktionen. Auch in dieser Arbeit sind fundamentale Gegensätze wie Fülle und Leere, Bewegung und Ruhe äußerst ansprechend komponiert, so dass alle Elemente sich gegenseitig aufheben und verstärken. Das Summen der Transformatoren, die sich in Reihen am Boden in ihren skulpturalen Aspekten mit ausstellen, spannt den Besucher körperlich ein.

Fünf Gruppen lassen sich ausmachen. Die größte ist begehbar. Die kleinste ist neben dem Kassentisch drapiert, als warte sie auf Abholung: Hellrotes Herz an weißen Röhren. Wo alles uneigentlich ist, ist auch Kitsch eine fragwürdige Kategorie.

Ganz im Sinne des Kritikers Clement Greenberg, der die Entwicklungen der abstrakten Kunst mitprägte, zielt Reyle auf die Oberfläche. Doch während Greenbergs Programm die eigenen Voraussetzungen ausblendete, handelt Reyle genau genommen von nichts anderem: Wenn er Dekofolie aus dem Bastelgeschäft verarbeitet oder wie hier Reste aus GlasbläserWerkstätten, reflektieren seine Arbeiten immer die eigenen materiellen und ökonomischen Bedingungen, gerade wenn sie industriell hergestellt sind.

In die Überproduktion ist immer schon der Verfall mit eingeschleift. Das macht Reyles Arbeiten so bestechend zeitgemäß und als ökonomischen Kommentar auf raffinierte Weise unangreifbar. Das Ergebnis ist entwaffnend schön und konsensfähig. Man könnte Reyle nur vorwerfen, dass seine Kunst bei aller gepflegten Heterogenität als System etwas zu schnurrig läuft, zu selbstzufrieden in sich ruht.

Ausstellungsraum Céline und Heiner Bastian, Am Kupfergraben 10, bis 31. Juli

Kolja Reichert

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