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Ausstellung "Die 80er" im Städel Museum Frankfurt: Als die Bilder saufen lernten

Party, Großstadt, Untergrund: Das Städel Museum in Frankfurt erinnert an die Malerei der wilden Achtziger - auch und vor allem aus Berlin.

Die Telefonzelle weckt Erinnerungen. An das gelbe Metall der Rahmen, hartes Neonlicht und Münzapparate, die entweder besetzt oder kaputt waren. Man muss nicht einmal vor dem Bild im Frankfurter Städel Museum stehen. Das Cover des Katalogs genügt, um selbst Gerüche wieder hochzuspülen: den abgestandene Zigarettenrauch in den Kabinen der Deutschen Post und das Odeur der tausendfach benutzten Hörer.

Das große Gemälde von Werner Büttner, das er 1982 malte und „Mutwillig zerstörte Telefonzelle“ nannte, lässt sich aber noch anders lesen. Gelb-schwarzes Absperrband signalisiert „Kein Anschluss unter dieser Nummer ...“, und das seit 30 Jahren. Es herrscht eine seltsame Funkstille zwischen den dynamischen 80er-Jahren und den Museen, die die Kunst diese Ära längst hätten aufarbeiten können. Tatsächlich wirkt jene „Figurative Malerei in der BRD“, wie es im Untertitel der großen Schau „Die 80er“ mit Werken von Bernd Zimmer, Ina Barfuss, Rainer Fetting, Christa Näher, Peter Bömmels oder Salomé heißt, aus institutioneller Sicht noch ferner als die Zero-Abstraktionen aus den Sechzigern, die heute groß gefeiert werden.

Woran das liegt? Vielleicht am Abwehrreflex jener Kuratoren, die inzwischen an den Schnittstellen der Häuser sitzen. Viele von ihnen haben in den 80er-Jahren studiert und kennen die Zeit mit allen ästhetischen Ausformungen aus eigener Anschauung: Karottenjeans, Schulterpolster, Synthesizer-Musik oder Robert-Smith-Frisuren. Und wie auf den alten Fotos, die man nur amüsiert bis peinlich berührt anschauen kann, weht einen auch aus den Gemälden diese Zeit wieder an. Dann gibt es einflussreiche Kritiker wie Benjamin H. D. Buchloh, der ab 1989 in den USA lehrte und aus der Distanz im neoexpressiven Stil der jungen deutschen Maler ein „reaktionäres“ Moment erkannte. Von Minimalismus und Konzeptkunst umgeben, empfand er ihre Sprache als rückwärtsgewandte Figuration.

Wild sind sie nicht mehr, aber kapriziös

Es musste wohl ein furchtloser Kurator wie Martin Engler, Jahrgang 1968 und Leiter der Sammlung Gegenwartskunst im Städel, her. Zusammen mit Franziska Leuthäusser, die in den 80ern geboren wurde und sich ohne jedes Risiko der persönlichen Erinnerung durch die Materie bewegt, hat er die Ära gesichtet.

Wie ernst man diese Auseinandersetzung in Frankfurt meint, zeigt die Genese der Ausstellung. Anfang 2015 fand ein Symposium mit Künstlern, Galeristen und anderen Protagonisten statt, die damals die Szene prägten. Ihr Diskurs offenbarte schon da, wie rutschig das Parkett der Begrifflichkeiten ist. Junge Wilde, heftige Malerei, Neoexpressionismus: alles bemühte Beschreibungen für einen Stil, der die heute über 60-jährigen Künstler zu Recht die Augen verdrehen lässt. Wild sind sie nicht mehr, eher abgeklärt, latent kapriziös oder stolz wie G. L. Gabriel.

Die Berliner Malerin konnte man während der Eröffnung neben ihren Leinwänden am Eingang treffen, vor denen sie geduldig den komplexen Aufbau von „Blick nach Osten“ (1982) und „Blaue Brücke“ (1986) erklärte. Impressionen einer geteilten Stadt, für die es viele Komplimente gab – wohl nicht zuletzt, weil man die Werke sonst nicht im Museum sieht, sondern im Berliner Landesparlament. Dass überhaupt „Malerinnen Teil der Bewegung waren“, hat Kuratorin Franziska Leuthäusser verblüfft. Tatsächlich drängten die Jungs vom Berliner Moritzplatz oder der Kölner Mülheimer Freiheit ihre Mitstreiterinnen spätestens an den Rand, als der Markt auf die neue Figuration reagierte und sie in alle Welt exportierte.

Gemeinsam ist den Malern der Trotz

Wer nun die knapp 100 Werke wieder vereint sieht, der fragt sich schnell, was sie über ihre Entstehungszeit hinaus eigentlich zusammenhält: Kunst von Hans Peter Adamski, Martin Kippenberger, Peter Bömmels, Walter Dahn, Bettina Semmer und Milan Kunc. Gemeinsam ist den 27 Akteuren am ehesten noch der Trotz. Das Bekenntnis zur figurativen, malerischen Freiheit, um der konzeptuellen Strenge jener Kunst zu entkommen, die mit Donald Judd oder Sol Lewitt aus den USA nach Europa gekommen war.

Da lag es nahe, sich auf die eigenen Wurzeln und damit den deutschen Expressionismus zu besinnen. Im Rückgriff auf die Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts formierte sich der Anspruch auf eine eigene künstlerische Identität. Wie zuvor Ernst Ludwig Kirchner, der 1914 den Potsdamer Platz in den Blick nahm, gaben auch die neuen Expressionisten ihre Distanz auf, um nah heranzugehen an die Wirklichkeit von Düsseldorf, Hamburg oder Berlin, wie sie das „Erste Mauerbild“ (1977) von Rainer Fetting noch immer großartig dokumentiert. Oder die „U-Bahn“-Abstraktion von Bernd Zimmer, der 1978 mit schnellem, breitem Duktus und tropfender Farbe seine Eindrücke aus dem Untergrund festhielt. Schließlich das wandfüllende Gemälde „KaDeWe“ (1982) mit seinen nackten Männern an der Fleischtheke, ein Koprodukt von Salomé und Luciano Castelli.

Völlig unterschiedlich haben sich die Biografien entwickelt. Das Werk des 1997 verstorbenen Martin Kippenberger ist in Museen ebenso präsent wie auf internationalen Auktionen und erzielt dort zweistellige Millionenbeträge.

Der Dilettantismus war ein Mittel, sich von Traditionen abzusetzen

Ein Künstler wie Georg Herold zählt wichtige Sammler zu seinen Fans, die seine ironischen Volten und schlichten Materialien schätzen. Die eigenwillige Malerei von Andreas Schulze feiert seit Jahren immer wieder ihr Comeback, während man etwa von Ina Barfuss kaum noch etwas hört.

„Die 80er“ zeichnet die Netzwerke der Künstler mit all ihren divergierenden Absichten anschaulich nach. Auf zwei Etagen lässt sie die Chronologie außen vor, um mit Blickachsen und thematischen Gruppen zu experimentieren. So finden Selbstbildnisse zusammen, ebenso wie der Akt als klassisches Thema, aber auch die ausschweifenden Partys einer Subkultur, die in dem monumentalen Gemälde „Electric Night“ (1979) von Helmut Middendorf für immer eingefroren ist. Dabei wirkt manches heute viel zu schnell gemacht, ohne Tiefe, allein dem Augenblick verpflichtet. Der Dilettantismus war wie im Punk ein Mittel, um sich von Traditionen abzusetzen.

Am Ende der Ausstellung steht die Frage, was an dieser Zeit eigentlich peinlich gewesen ist. Sie war großartig, jedenfalls so, wie die Bilder sie kolportieren mit zackigen Figuren und Frisuren, auf die sich auch Berlins Hipster längst wieder beziehen. Sie war herrlich unkorrekt, wenn Albert Oehlen ein eher abstraktes Duo von 1980 „Goldener Mann schlägt Schlampe“ nennt. Und explizit politisch, was Kippenberger auf seine beiläufige Art ins Spiel bringt: Vor seinem Gemälde „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken“ (1984) muss man schon auf beiden Augen blind sein, um die NS-Symbolik zu übersehen.

Martin Engler verspricht nicht zu viel, wenn er von einer „Wucht des Auftretens“ spricht. Die Ausstellung ist Revision und Ergänzung, wenn sie die Malereigeschichte um jene Positionen ergänzt, die nach der Wende 1989 zugunsten deutsch-deutscher Biografien von Georg Baselitz, Gehard Richter oder Sigmar Polke in den Hintergrund gerieten. Dass der Neoexpressionismus damals finanziell für eine Weile unmittelbar erfolgreich war, ist garantiert auch Teil des Problems, weil die Qualität unter der Nachfrage gelitten hat.

Die Auswahl im Städel beschwört allerdings die beste Seite jener Ära mit Leihgaben aus dem Landesmuseum in Darmstadt, der Berlinischen Galerie, von privaten Sammlern und der Deutschen Bank. Schon 1982 hatte man hier die Idee, zeitgenössische Künstler in die noch jungen Frankfurter Türme zu hängen, und kaufte Bilder von Bernd Zimmer, Volker Tannert, Jirí Georg Dokoupil, Middendorf oder Schulze an. Dass auch sie nun in der Schau hängen, lässt einen nach den Schenkungen und dauerhaften Leihverträgen zwischen der Bank und den Frankfurter Museen sofort vermuten: Hier kündigt sich die nächste Übereignung und damit auch die Musealisierung der 80er-Jahre-BRD an.

Städel Museum, Dürerstr. 2, Frankfurt am Main, bis 18. Oktober.

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