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Ausstellung: Die Deckenspringer

Mythos Atelier: Die Stuttgarter Staatsgalerie ergründet das Geheimnis eines legendären Ortes.

Die Farben lodern. Gelb explodiert, Rot knallt dazwischen, das Blau versucht sich vergeblich von rechts heranzupirschen. Das Grün ist stärker. Schlicht „Atelier“ hat der Maler Gerhard Richter sein monumentales Werk von 1985 genannt, das mit seinen Maßen von 260 mal 200 Zentimetern fast selbst Raumgröße besitzt. Die gigantische abstrakte Komposition zeigt das kreative Chaos, den Urknall der Entstehung eines Bildes und zugleich den Produktionsort selbst als Zitat. Die beiden Säulen, die das Triptychon strukturieren, erinnern an jene Raumstützen, die sich in Richters Kölner Atelier der Achtziger befanden, einer ehemaligen Kartonagenfabrik. Der Betrachter sieht zwar viel auf diesem kraftvollen Gemälde, das mithilfe von metergroßen Rakeln entstand, mit denen der Maler die Farbe über die Leinwand wischte. Doch die Stätte des Geschehens selbst zeigt es nicht.

Das Studio umflorte immer schon ein Geheimnis. Hier passierte der schöpferische Akt, hier focht der Künstler seine existenziellen Kämpfe aus. Atelierbilder stellen eine eigene Gattung dar, doch erstaunlicherweise wurde sie nie zuvor mit einer Ausstellung untersucht. Die Stuttgarter Staatsgalerie hat sich mit einer Großen Landesschau, der umfangreichsten in der Geschichte des Hauses, an dieses opulente Thema gewagt und damit in ihrer Interregnumszeit einen Erfolg gelandet. Der britische Museumsmann Sean Rainbird hat den postmodernen Tanker bereits gen Nationalgalerie in Dublin verlassen, noch ist Christiane Lange von der Münchner Hypo-Kunsthalle als neue Direktorin nicht an Bord.

Die auf Alte und Neue Staatsgalerie treppauf, treppab verteilte Ausstellung mit ihren über 200 Werken zeigt die Problematik des in verschiedene Trakte zerfallenden Gebäudes. Trotzdem besitzt die Präsentation großen Atem. Sie nimmt den Besucher mit auf eine Reise nicht nur durch die Ateliers berühmter Künstler, sondern will auch eine Kunstgeschichte dieses spezifischen Genres schreiben, das sich Anfang des 19. Jahrhunderts mit der Unabhängigkeit der Künstler von den Auftraggebern etabliert. Im Atelier versuchten sie ihr eigenes Schaffen zu reflektieren, ihre Rolle. Hier war der Ort, um sich wirkungsvoll vor potenziellen Käufern zu inszenieren oder in Klausur zurückzuziehen.

„Hans Makarts Atelier in der Gusshausstraße in Wien“, 1885 gemalt von Rudolf von Alt, quillt nur so über vor üppigen Requisiten, Orientteppichen, Palmen, Hirschgeweihen, Musikinstrumenten, Draperien. Die Staffelei des Malerfürsten verschwindet fast im Hintergrund. Anders die Romantiker, die die Stille suchten und sich von der Welt abwandten, indem sie auch noch ihre Atelierfenster zur Hälfte von unten abdeckten. Nichts sollte von der Zwiesprache mit dem Bild, der gehegten Innerlichkeit ablenken. Georg Friedrich Kersting porträtierte 1811 „Caspar David Friedrich in seinem Atelier“, einer kahlen Kammer, deren einziger Schmuck in zwei Paletten und Messinstrumenten an der Wand besteht.

Das Atelier war der Ort, wo die Künstler ihren Lebensstil kultivierten, sich einen Gegenort schufen. Sie wussten sehr genau um die Aura ihrer Produktionsstätten und ließen vielfach dokumentierende Fotografien anfertigen. Berühmt wurden Ernst Scheideggers Aufnahmen von Alberto Giacometti in seiner winzigen Kemenate in der Rue Hippolyte-Maindron in Montparnasse, wo in über vierzig Jahren Werk und Raum miteinander geradezu verschmolzen. Vier Jahre nach dem Tod des Künstlers ließ seine Frau Annette 1972 Wandfragmente abnehmen, in die Giacometti Höhlenmalereien gleich Zeichnungen eingeritzt hatte. In Stuttgart wird der Prozess nun revidiert: Die Wandstücke hängen hier als autonome Bilder.

Was jedoch selten funktioniert, und auch in Stuttgart nicht gelingt, ist die befriedigende Rekonstruktion solch legendärer Orte. Sie wirken wie Disneyland für Kunstliebhaber, ein Tribut an den zunehmend geforderten Erlebnischarakter von Ausstellungen. Der Besucher darf etwa durch Mondrians kleine Bude stapfen, die sich ebenfalls in Montparnasse befand, und sich dabei wie in einem seiner Gemälde fühlen. Der Künstler reduzierte die Farbigkeit von Raum und Möbeln streng auf das klassische Weiß, Schwarz und Grau seiner Werke. Nur an den Wänden hängen rote, blaue, gelbe Kartonstreifen, mit denen Mondrian experimentierte. Wie Objets trouvés liegen noch seine Pfeife und zwei Nickelbrillen auf dem Tisch. Auch das Pariser Hotelzimmerchen, in dem Daniel Spoerri in den sechziger Jahren hauste und in das der Besucher durch die Türe lugen darf, bewegt sich haarscharf am Kitsch vorbei. Wie eine Erfrischung für den Geist wirkt dagegen die konzeptuelle Kühle von Bruce Naumans Videoinstallation „Mapping the Studio“ aus dem Jahr 2001. Der Künstler filmte über Nacht sein Atelier in New Mexico mit einer Infrarotkamera. Trotz seiner Abwesenheit bleibt kreative Energie am Ort zurück. Statt seiner treten eine Katze, Mäuse und Motten als Akteure auf, die nun ungestört den Raum bevölkern. Auch Jonathan Meese will den Mythos brechen, den das Atelier bis heute umwölkt. „Ich bin der Märchenprinz“ trällernd hüpft er ausgelassen und mit wehender Mähne von Leinwand zu Leinwand, die er abwechselnd mit dem Pinsel bearbeitet.

Ähnlich macht sich Matthew Barney einen Scherz daraus, was das Publikum von ihm an dieser sakrosankten Stätte erwartet. Das Blatt Papier für sein Selbstbildnis hat er unter die vier Meter hohe Decke seines Ateliers gehängt. Mithilfe eines Trampolins springt der amerikanische Künstler immer wieder in die Höhe und vervollständigt nur in Sekundenbruchteilen das Selbstporträt. Von den gediegenen Atelierbildnissen eines Henri Matisse, Hans Purrmann oder Raoul Dufy, die sich mit Staffelei und Aktmodell auf dem Canapé darstellten, ist er himmelweit entfernt. Und doch geht es allen um die Frage, was sie sind.

Staatsgalerie Stuttgart, bis 10.2.; Katalog (Hirmer Verlag) 34,90

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