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Ausstellung: Die Welt im Skizzenbuch

Eine Münchner Schau entdeckt Adolph Menzel neu. Zum ersten Mal ist es geglückt, den Beginn seiner Künstlerkarriere auszuleuchten.

Adolph Menzel (1815–1905) ist der Inbegriff des preußischen Künstlers, von seinen Sujets her wie von seinem nie erlahmenden Pflichtgefühl. Dass er aus dem katholischen Breslau stammte, mag eine Erklärung sein für seinen lebenslange Lust auf südlichere Gefilde. Allein vierzehn Mal reiste Menzel nach München, des Öfteren auch nach Salzburg und Hofgastein. Das Barocke reizte ihn, als Lebensgefühl, in der Überlieferung von Sitten und Gebräuchen.

Die außerordentlich geglückte Ausstellung, die die Münchner Hypo-Kunsthalle in enger Zusammenarbeit mit dem Kupferstichkabinett und der Alten Nationalgalerie der Staatlichen Museen Berlin derzeit ausrichtet, hat einen bislang nie gesehenen südlichen Einschlag. So erstaunlich es klingen mag: Menzel ist in München nochmals neu zu erleben. Die strikte Konzentration auf die Entstehung des Werkes aus den Abertausenden von Momentaufnahmen, die Menzel sein Leben lang in mehr als 70 handlichen Skizzenbüchern mit jeweils bis zu 200 Seiten festzuhalten pflegte, erlaubt einen Blick über die Schulter des Künstlers. In bisherigen Menzel-Ausstellungen überwog das Gewicht der ausgeführten Gemälde.

„Menzel – der Beobachter“, war 1982 eine gewichtige Hamburger Ausstellung überschrieben, deren Titel seither zur Standardcharakterisierung des Künstlers dient. Das ist einerseits richtig; so heißt denn die Münchner Unternehmung in geringer Bedeutungsabwandlung „Menzel radikal real“. Doch Menzels Blick war nie fotografisch. Man braucht nur das in seiner Zartheit erschütternde Bildnis des 1863 mit knapp acht Jahren verstorbenen Mädchens Katharina zu betrachten, um zu erkennen, was Menzels Blick vom reglosen Objektiv der Kamera abhebt. Menzel, der keinen Abgrund scheut, der sterbende Soldaten ebenso zeichnet wie aus der Totengruft hervorgeholte Kadaver altpreußischer Generäle, verrät seine Sujets nie. Er hat ein feines Gespür für die Komik menschlichen Daseins, für seine Lächerlichkeiten. Aber er ist nie abfällig.

Den roten Faden der Ausstellung bilden die 36 Skizzenbücher, die – im Gegenzug für die großzügigen Ausleihen Berlins – auf Kosten der Hypo-Kulturstiftung digitalisiert worden sind. Je für sich in gläsernen Vitrinen, bergen sie das Kondensat, die äußerste Verdichtung dessen, was ringsum an den Wänden hängt und auch nur höchstens im kleinen Format ausgeführt worden ist.

Eine unmittelbare Brücke zwischen beiden Bereichen, der spontanen Skizze und dem ausgeführten Aquarell oder Ölgemälde, gibt es nur in seltenen Fällen. Wohl nutzte Menzel den unerschöpflichen Vorrat seiner Beobachtungen über Jahrzehnte hinweg als Reservoir späterer Bildfindungen. Doch recht eigentlich sind seine Kompositionen „Erinnerungen“, wie er es bisweilen ausdrücklich auf dem Bildträger vermerkt. Menzel skizziert nicht, um aus dem Vorrat Ansichten zu konstruieren. Vielmehr hält er fest, was ihm vors Auge kommt, weil es ihn unmittelbar reizt.

Hermann Roth, ein Münchner Bekannter, hat Menzels Auftritt beschrieben. „Drei Attribute waren ihm unzertrennlich: ein Regenschirm, er trug ihn bei jedem Wetter, das Skizzenbuch und ein Operngucker.“ Der Hinweis auf das Opernglas ist der Beachtung wert. Menzel thematisiert es selbst, früh schon in dem großartigen Pastell der über die Schulter beobachteten Dame im „Opernglas“ von 1850. Das Ausschnitthafte des Blicks, das jede Hierarchie des Gesehenen auflöst, kehrt in Menzels Kompositionen wieder. Die wimmelnde Überfülle, die Menzels Kritiker anekdotisch nannten, ist selbst kleinen Blättern wie dem „Frühstücksbuffet in Kissingen“ eigen, umso mehr den größeren Stadtbildern, die hier mit dem „Pariser Wochentag“ von 1869 vertreten sind. Menzel hat sich nur selten an ein solches Gewimmel gewagt, als Gegenpol zu seinem noch den unscheinbarsten Gegenstand herauspräparierenden Blick.

Freilich wäre es verfehlt, Menzel nun allein über den Leisten seines zeichnerischen Werks zu schlagen. Das malerische Werk kennt mehr Facetten, als dem zeichnenden Beobachter auf seinen täglichen Ausflügen hilfreich waren. „Alles Zeichnen ist nützlich und Alles zeichnen auch“, dieses berühmte Motto Menzels steht über der Münchner Ausstellung mit mehr Berechtigung als je zuvor. Den isolierenden Beobachterblick hat Menzel fallweise in die Malerei übernommen; am eindrucksvollsten in den Studien seiner eigenen Extremitäten, die er als Hand, als Hand mit Farbnapf, einmal sogar als Fuß im Krankenbett monumentalisiert – unerhörte Sujets, die jeder Einordnung in gängige Genres spotten.

„Radikal real zu sein,hieß, Eingeständnisse an die Unvollkommenheit der Welt zu machen und ihr dennoch unentwegt auf den Grund zu gehen“, schreibt Bernhard Maaz, der Leiter der Alten Nationalgalerie und Spiritus Rector der Ausstellung, im Katalog. Dieses uneingeschränkte, bisweilen auch absonderliche Interesse ist es, das die Münchner Ausstellung zum Ereignis macht. Es genügt, das Rinnsal auf der Zeichnung der „Straße nach dem Gewitterregen“ von 1889 zu verfolgen, um aus dem Staunen nicht mehr herauszufinden.

München, Theatinerstraße 8, bis 31. August, tgl. 10–20 Uhr. Katalog im Hirmer Verlag 25 €, im Buchhandel 39,90 €.

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