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Ausstellung: Farben des Himmels

"Rothko/Giotto - die Berührbarkeit des Bildes": eine bewegende Gegenüberstellung in der Berliner Gemäldegalerie.

Diese Ausstellung dürfte Geschichte schreiben. Kunstgeschichte betreibt sie allemal. Nur drei Bilder sind zu sehen, und doch ist diese Präsentation ein Großereignis: zwei Giottos und ein Rothko. Was Blockbuster-Shows mit dreihundert Werken oft vergeblich versuchen, gelingt dieser Taschenausgabe durch Reduktion – die Vermittlung eines Kunsterlebnisses, eine echte Seherfahrung. Schon machen Scherze die Runde, dass diese Miniaturausstellung das passende Format zur Finanzkrise sei, zumal alle drei Werke aus dem Bestand der Staatlichen Museen kommen und keine teuren externen Leihgaben, keine aufwendigen Transporte nötig waren.

Doch wer den separierten Raum inmitten der Trecento-Abteilung der Gemäldegalerie betritt, wird schnell eines Besseren belehrt. Nicht Mangel, sondern Reichtum beschert dieses Kunstereignis. Denn welcher Gemäldesammlung gehören schon zwei Giottos? Wer besitzt in seiner unmittelbaren Nachbarschaft, im Mies-van-der-Rohe-Bau, schon einen Rothko, von dem es in deutschen Museen gerade 14 Werke gibt? Nur von einem benötigt diese Ausstellung mehr: Der Besucher braucht Zeit. Die Museen haben sich dieses Luxusguts berauben lassen, mahnte Udo Kittelmann, Rothko-Leihgeber und neuer Nationalgalerie-Direktor.

Von einer spielerischen Präsentation spricht Stefan Weppelmann, Kustos der Gemäldegalerie und Initiator dieses kleinen, feinen Kunstereignisses, denn erst nach und nach entfaltet sich vor den Augen des Betrachters die Verbindung zwischen dem spätmittelalterlichen Maler und dem Protagonisten der Moderne. Und plötzlich sind 650 Jahre Kunstgeschichte mit einem einzigen Blick überflügelt. „Die Berührbarkeit des Bildes“ lautet der Titel, denn haptische Nähe, Taktilität – ein Kernbegriff für Mark Rothko – verbindet beide Künstler.

Die Künstler sind nur auf den ersten Blick einander fremd

Welche Bedeutung der Trecento-Maler für den Abstrakten Expressionisten tatsächlich besaß, ist erst seit kurzem be- kannt. Der Rothko-Sohn Christopher entdeckte im erst nach vielen Streitigkeiten zugänglichen Nachlass ein in den späten Dreißigern und frühen Vierzigern verfasstes Manuskript, das er 2004 unter dem Titel „Die Wirklichkeit des Künstlers“ publizierte. Darin bezieht sich Rothko explizit auf den Goldgrundmaler und beschreibt voller Bewunderung dessen „Gefühl für das Gewicht und die massive Bewegung durch die Taktilität der Form“.

In Giottos um 1310 entstandenem „Marientod“, der monumentalen, 1,79 Meter breiten Berliner Retabel, lässt sich jene Verschiebung der farblichen Gewichte genau studieren, durch die eine Emotionalität erzeugt wird, eine spannungsreiche Komposition entsteht. Die gleiche Methode hat auch Rothko in seiner Colorfield-Malerei angewandt. Das Berliner Bild „Reds No. 5“ von 1961 zeigt eine Akkumulation der Rottöne, eine sukzessive Verschiebung von Magenta zu Cadmiumgelb, die nur in ihrem Mittelfeld durch zwei dunkelrote Streifen eine Unterbrechung erfährt. Die wolkige Struktur, deren Entstehungsprozess sich in den haften gebliebenen Pinselhaaren dokumentiert, hängt wie eine farbliche Zusammenballung vor dem hellen, unbearbeitetem Fond, der wiederum an Giottos Goldgrund erinnert – herrlich zu erkennen auf der kleinformatigen „Kreuzigung“ (um das Jahr 1315), dem dritten Werk in diesem Dreiklang über die Zeiten und Epochen.

Den Betrachtern eine religiöse Erfahrung vermitteln

Und noch eine Verbindung besteht zwischen beiden Künstlern, die nur auf den ersten Blick einander vollkommen fremd sind: Als Freskomaler gestaltete Giotto ganze Räume: in der Franziskus-Kapelle von Assisi. Auch Rothko verstand sich als Baumeister seiner Bilder, versuchte ihre Hängung bis zuletzt zu kontrollieren. Sein Gemäldezyklus für das Four Seasons Restaurant von Philip Johnson im New Yorker Seagram Building zog er im letzten Augenblick zurück, da es ihm hier an meditativer Stimmung, an Kontemplationsmöglichkeit für die Kunst fehlte. Eine solche adäquate Umgebung fand sein Werk erst in der berühmten Rothko-Chapel auf dem Campus von Houston, wo die Begegnung mit der Kunst zum spirituellen Erlebnis wird. Auch darin stehen sich der spätmittelalterliche Maler, mit dem nach Vasari die Kunstgeschichte beginnt, und der nur noch der reinen Farbe huldigende Vollender des Tafelbilds einander nahe: Für beide verbindet sich mit dem Schaffensprozess eine mystische Handlung, beide wollen ihren Betrachtern eine religiöse Erfahrung vermitteln.

Gerade darin mag auch die erneute Popularität Rothkos in jüngster Zeit, der überwältigende Erfolg seiner großen Retrospektive im vergangenen Jahr bestehen: die Suche nach dem Sinnlichen, ja Übersinnlichen. Anders als in der Hamburger Kunsthalle, die Rothko gemeinsam mit Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer“ präsentierte, geht die Berliner Ausstellung wieder auf Abstand zu seiner Vereinnahmung als spätem Romantiker. Dies sei nur eine formale Ähnlichkeit, heißt es nun, denn in beiden Werken taucht immer wieder die typische Horizontlinie auf. Doch während sich Rothko nachgewiesenermaßen intensiv mit Giotto, Fra Angelico und Cimabue beschäftigte, ist für Caspar David Friedrich keine Bezugnahme belegt.

Auch der jüngst hergestellten Verbindung zu den französischen Impressionisten erteilt die Berliner Schau eine Absage. Sie rückt Rothko wieder ganz an den Anfang der Tradition europäischer Malerei. Beat Wyss, der Basler Kunsthistoriker, der beim Ausstellungskolloquium den Eröffnungsvortrag hielt, beschrieb diese Wahlverwandtschaft zwischen Giotto und Rothko als einen Krebsgang der Moderne. Im Moment ihrer höchsten Verfeinerung besinnt sich die Kunst des sogenannten Primitivismus und sucht den Heimweg in den Anfängen. Die Primitiven seien für diese Maler wie ein Findling aus dem Paradies, den sie im Tausch mit der modernen Zivilisation einzulösen versuchten. Mit Giotto im Blick kommt auch der Rothko-Verehrer diesem Himmelreich ein Stück näher.

Gemäldegalerie, Kulturforum, bis 3. 5.; Katalog (Hirmer Verlag) folgt, 34,90 €.

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