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Lasziv. Gräfin Lichtenau, porträtiert von Anna Dorothea Therbusch.

© R. Handrick/SPSG

Ausstellung "Gräfin Lichtenau": Von der Mätresse zur Mäzenin

Sie verdrehte Friedrich Wilhelm II. den Kopf und prägte die Kunst Preußens: Das Museum Charlottenburg-Wilmersdorf würdigt die Gräfin Lichtenau.

Mehr Mätresse geht kaum: verführerisch hingestreckt, im rosafarbenen Kleid, das Dekolleté wie zufällig verrutscht. Über dem Kopf schwirren Turteltauben. „Wilhelmine Enke im Jagdkostüm“, ein Ölgemälde von Anna Dorothea Therbusch, ist das bezeichnende Porträt einer Jägerin, deren größte Beute Friedrich Wilhelm II. war. Derzeit dient das freizügige Motiv auf Plakaten und Flyern als Lockmittel des Museums Charlottenburg-Wilmersdorf, das die Geschichte dieser Frau – besser bekannt als Gräfin Lichtenau (1753– 1820) – in einer Sonderausstellung erzählt. Der Zeitpunkt ist nicht zufällig gewählt. Wenige Gehminuten entfernt zeigt die gefeierte Schau „Frauensache“, welch immense Bedeutung Frauen am Hof hatten. Und das Beispiel der Lichtenau erhellt: nicht nur die Damen des Hochadels.

Schon der Untertitel „Ein Leben für die Liebe & die Kunst“ verweist darauf, dass Wilhelmine Enke mehr als eine Mätresse war. Sie konzentriert sich nicht allein auf den Preußenkönig, sondern liebt auch die Kultur, die Wissenschaften, das Feingeistige und Schöne. Daran hat Friedrich Wilhelm II. seinen Anteil, denn er fördert und bildet die Tochter eines Hofmusikers seit ihrer ersten Begegnung. Damals ist der Kronprinz 18 Jahre alt, die bürgerliche Wilhelmine ein Mädchen von neun Jahren. Französisch steht auf ihrem Lehrplan, außerdem Geografie, Geschichte und besonders Literatur: antike Klassiker, Shakespeare und die damals aktuellen Werke von Voltaire, Rousseau und Goethe.

Der Kronprinz als "Pygmalion"

Stück für Stück wird aus der jugendlichen Schülerin eine Geliebte und Friedrich Wilhelm zu einem „preußischen Pygmalion“, wie es in der Ausstellung heißt. Wie in dem Mythos formt auch er über Jahre seine Idealfrau, seine Galatea. Schließlich ist er ganz verrückt nach ihr. In Briefen, die für die Schau eingesprochen wurden, zeigt sich der Thronfolger verliebt und fürsorglich, bisweilen sogar eifersüchtig bis drohend, dann wieder flehend. Wilhelmines Antworten fehlen, der königliche Empfänger zerstörte sie, um seine Geliebte zu schützen. Diese Lücke sollen fiktive Audiokommentare der Mätresse schließen, was manchmal gelingt, manchmal aber auch in Groschenroman-Regionen abdriftet.

Die Beziehung der beiden ist fraglos stark und kommt auch gegen die Missgunst des mächtigen Onkels, Friedrichs des Großen, an. Sechs gemeinsame Kinder bekommen sie, fast alle sterben jung. Wilhelmine darf in ein prächtiges Anwesen unweit des Charlottenburger Schlosses ziehen. Von den Gebäuden und der Gartenanlage finden sich heute allerdings keine Spuren mehr.

Guter Geschmack und Trend-Gespür

Doch stärker als Wilhelmines erotische Anziehungskraft ist schließlich der Rosenkreuzorden, ein christlich-mystischer Geheimbund, dem sich Friedrich Wilhelm 1781 anschließt und der ihm von der Liaison abrät. Es ist das Ende der Liebe, der Beginn einer tiefen Freundschaft und vor allem der Emanzipation Wilhelmines. Sie ist nun enge Vertraute des Königs. Als wichtige Mäzenin fördert sie den jungen Bildhauer Johann Gottfried Schadow – sein erstes Meisterwerk wird ein Grabmal für den früh verstorbenen Lieblingssohn Alexander von der Mark. Einige Jahre später sollte Schadow die Quadriga auf dem Brandenburger Tor gestalten.

Der Künstler ist einer von zwölf Zeitgenossen, deren Kurzporträts rund um eine Büste der einflussreichen Frau gruppiert sind – darunter der Archäologe und geistige Vater der Berliner Museen, Aloys Hirt, sowie der Theologe und Philosoph Johann Caspar Lavater. Als Pionierin der Berliner Salonkultur bringt Wilhelmine interessante Persönlichkeiten zusammen. Nebenbei vertritt sie Friedrich Wilhelm II. selbstbewusst auf seinen Baustellen. Die markante weiße Fassade des Schlosses auf der Pfaueninsel geht auf die Lichtenau zurück, ebenso die Innengestaltung des Marmorpalais. Außerdem setzt sie wichtige Akzente bei der Einrichtung von Schloss Charlottenburg. Details, Farben, Materialien sind ihre große Leidenschaft. Und der Preußenkönig vertraut ihrem guten Geschmack. Sie prägt Trends, macht etwa Tapeten mit exotischen Motiven beliebt, die sie – zusammen mit neuen Kontakten – von einer ausgedehnten Italienreise mitbringt.

Ein vielschichtiges Bild auf kleinem Raum

Nur logisch erscheint da ihre Erhebung zur Gräfin Lichtenau, die sie aber nicht vor dem tiefen Sturz nach dem Tod ihres ehemaligen Geliebten bewahren kann. Dessen Sohn Friedrich Wilhelm III. lässt sie verhaften, enteignen und wegen Hochverrats vor Gericht stellen. Sie wird verbannt, schließlich begnadigt – doch ihr Ruf ist ruiniert. Die Verfemungen und Spötteleien sowohl aus dem Volk als auch am preußischen Hof tragen dazu bei, dass die Fürstin bis heute vor allem als Mätresse in Erinnerung bleibt – und nicht als die gewandte und glamouröse Mäzenin im Frühklassizismus, die sie vor allem war.

Es ist der Ausstellung hoch anzurechnen, dass auf kleinstem Raum ein vielschichtiges Bild der Gräfin entsteht. Allerdings sind nur ausgesprochen wenige bedeutende Exponate zu sehen. „Ein Großteil ihrer Briefe lagert im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz und wird erst jetzt ediert“, lautet die Erklärung von Museumsdirektorin Sabine Witt. Auch der vermeintliche Blickfänger der Schau, das aufreizende Gemälde von Therbusch, ist leider nur eine Reproduktion auf einer großen Stoffbahn – das Original hängt in der „Frauensache“-Schau im Schloss Charlottenburg.

Museum Charlottenburg-Wilmersdorf, Schloßstraße 55, bis 13.3., Di–Fr 10–17 Uhr, Sa/So 11–17 Uhr

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