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Ausstellung im Historischen Museum: Mit dem Rücken zur Mauer

Als sich Deutschland in zwei Hälften teilte, teilte sich auch die Kunst. Die Ausstellung „Kunst und Kalter Krieg“ im Deutschen Historischen Museum zeigt Unterschiede und Gemeinsamkeiten - absolut sehenswert.

Die Wege sind vorgeprägt: Abstraktion hier, Figuration dort. Links hängen Willy Baumeisters „Urformen“ (1946), die ihre Ursprünge bei Bauhaus und Klee verraten, rechts der Dix-Schüler Curt Querner, der seine Eltern realistisch präzise malte, so wie er sie 1948 bei seiner Heimkehr aus der Gefangenschaft vorfand: verhärmt, apathisch, von den Erfahrungen des Krieges gezeichnet.

An diese beiden Traditionen aus der Weimarer Republik knüpft die Kunst nach 1945 in Ost und West an. Ein künstlerischer Nullpunkt? Zumindest ein Neubeginn, der sich dennoch auf die Zeit vor dem Dritten Reich bezieht. Noch war nicht klar, dass im ideologischen Schlagabtausch die Gegenständlichkeit für Diktatur stehen wird, die abstrakte Malerei für Freiheit. Oder andersherum: dass der sozialistische Realismus den Antifaschismus repräsentiert und das Informel die kapitalistische Dekadenz. Für eine ganz kurze Phase schien allen alles möglich zu sein. Dann schloss sich der Eiserne Vorhang, der Kalte Krieg begann. Deutschland teilte sich in zwei Hälften – in beiden wurde Kunst auch propagandistisch eingesetzt.

Die Unterscheidung der Kunst ist auch heute noch präsent

Im Nachhinein wirkt die scharfe Trennung grotesk, doch hat diese Dichotomie die Kunstrezeption beiderseits der Mauer geprägt. Wie sehr sie es noch heute tut, wurde im Mai offenbar, als der Martin-Gropius-Bau mit der Ausstellung „60 Jahre, 60 Bilder“ die Gründung der Bundesrepublik feierte und kein Werk östlicher Provenienz zuließ, da in der DDR angeblich keine ernst zu nehmende Kunst entstand. Ein dramatischer Fall von Ignoranz ausgerechnet im Jubiläumsjahr des Mauerfalls.    In Los Angeles, im fernen Amerika, war man da schon sehr viel weiter. Dort zeigte Stephanie Barron am Los Angeles County Museum of Art im Frühjahr die Ausstellung „Art of Two Germanys“, die mit dem Vorurteil aufräumt, dass die Künste in Ost und West mit dem Rücken gegeneinander standen. Die Expressionismus-Expertin, die schon ihre Ausstellungen „Entartete Kunst“ (1991) und „Flucht und Emigration europäischer Künstler“ (1997) nach Berlin brachte, erteilt dem deutschen Publikum erneut eine heilsame Lektion. Nach einer Zwischenstation im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg ist die Schau nun zum 3. Oktober im Deutschen Historischen Museum angelangt. Bei den Staatlichen Museen und im Gropius-Bau war Co-Kurator Eckhart Gillen auf Desinteresse gestoßen. Wie falsch sie lagen, sieht man nun.

Absolut sehenswert

Die 300 Arbeiten von 120 Künstlern umfassende Ausstellung ist absolut sehenswert. Sie zeigt erstaunliche Gemeinsamkeiten: wie sehr auf beiden Seiten mit dem Menschenbild gerungen wurde, wie nahe sich Sprachkünstler und Experimentatoren kamen, wie stark Picasso Pate stand. In Nays fast abstraktem Werk „Tochter der Hekate“ (1945) überwacht ein trapezförmiges Picasso-Auge der Göttin das Farb- und Formenspiel, während in Willi Sittes „Massaker“-Bild (1959), das den Massenmord von Lidice anprangert, „Guernica“ Pate stand. Prompt musste der Maler die zerklüfteten Formen der hingestreckten Leiber auf Geheiß der Partei glätten. Der Formalismus-Vorwurf, von dem keiner wusste, was genau er bedeutete, stand im Raum.

Wie sehr sich die Künstler beiderseits der Mauer vor den Karren spannen ließen, zeigen parallel zwei Mahnmal-Wettbewerbe. Das Schema Staatskünstler hier, Dissident dort lässt sich nach dieser Ausstellung weder für Ost noch West aufrechterhalten. Die beiden Modelle für das Buchenwald-Denkmal von Fritz Cremer (1952) und Bernhard Heiligers Denkmal des unbekannten politischen Gefangenen (1952) machen dies evident. Cremer huldigt dem Kollektiv, indem er die Widerstandskämpfer wie Rodins Bürger von Calais aufmarschieren lässt, nur den Arm zum Schwur gereckt.

Ideologische Selbstgewissheiten

Hier formulierte die DDR ihre antifaschistische Selbstlegitimierung im Bild; Buchenwald gehörte zu den Gründungsmythen. Entsprechend wurde für die endgültige Ausführung ein Thälmann-Typus hinzubestellt. Auch Heiligers „Sebastian“, der in abstrahierender Formensprache die Leiden des Individuums am System vorführt, war klar agitatorisch angelegt: Er sollte auf den Trümmern des Krieges, auf dem Humboldt-Hain stehen und gen Treptower Ehrenmal weisen.

Wie wenig von diesen ideologischen Selbstgewissheiten am Ende blieb, führt der zweite große öffentliche Auftrag vor, um den man in Ost und West rang. Johannes Grützke entwarf 1987 für die Frankfurter Paulskirche den „Zug der Volksvertreter“, der tumb im Kreis lief. Werner Tübkes Frankenhausener Panorama der „Frühbürgerlichen Revolution“ illustriert auf seine Art ebenfalls die ewige Wiederkehr von Geschichte, das Ende der Utopie. Mit seiner Einweihung zwei Monate vor dem Mauerfall wurde es jedoch zum Anachronismus seiner selbst. Während sich Tübke der Historie als Camouflage für den politischen Stillstand im Lande bediente, versuchten die Dresdner Autoperforationskünstler Ende der achtziger Jahren den Ausbruch am eigenen Leib. Die studentische Truppe führte dem Publikum drastisch deren Gefangenschaft vor; für ihre individuellen Überschreitungen benutzten sie Tierblut, Brotteig und Eintagsfliegen, wie Fotos einer Performance von Else Gabriel dokumentieren.

Zur Malerei kommt die Fotografie

Neben der Malerei, die sich seit den sechziger Jahren ohnehin weniger für klare Grenzziehungen eignet, seitdem Lüpertz, Polke, Richter und Immendorff den Realismus für den Westen rehabilitierten, führt vor allem die Fotografie den Beweis für die Ausstellungsthese. Ob Chargesheimer nun die Tristesse des Ruhrgebiets in den Fünfzigern zeigt oder Ursula Arnold den Leipziger Alltag porträtiert, scheint gar nicht so weit voneinander entfernt. Auch Candida Höfers frühe Studien türkischer Milieus in Köln und Evelyn Richters flüchtige und zugleich präzise Aufnahmen von DDR-Bürgern verraten den gleichen Geist, beide sind späte Abkömmlinge eines August Sander.   Obsolet wird die Trennung bei Arno Fischer, der bis zum Mauerbau auf beiden Seiten fotografierte: Während auf der menschenleeren Magistrale in OstBerlin nur ein Wolga steht, die russische Nobelkarosse, schiebt sich im Westen ein Mercedes ins Bild, dahinter erhebt sich in Riesenlettern die Schrift „Berlin bleibt frei“.

Im Nachhinein erscheint das Bild schicksalshaft. Wie ähnlich sich auch die Künste im Kampf um die Freiheit waren, wie nahe sie sich in ihren Kompromissen kamen, erstaunt aus heutiger Sicht. Aus zwei Kunstgeschichten wird zwar nicht plötzlich eine, doch erkennen die einst feindlichen Brüder zunehmend ihre Ähnlichkeiten an. Das ist ein Fortschritt, wenn auch ein später.

- DHM, Unter den Linden 2, 3. Oktober bis 10. Januar; täglich 10–18 Uhr. Der Katalog (DuMont-Verlag) kostet 32 €.

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