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Ausstellung in Berlin: Im düsteren Labyrinth

Neustart in den Kunst-Werken mit einer Ausstellung des Franzosen Kader Attia.

Alles auf Anfang? Ellen Blumenstein weiß, dass es keine Tabula rasa gibt und man immer irgendwo anknüpft, wenn etwas beginnt. Nicht nur daher hat die neue Leiterin der Kunst-Werke für ihre Premierenausstellung einen guten Griff getan. „Ich wollte keine Neuentdeckungsfantasien stärken“, sagt die frisch gekürte Chefkuratorin, „sondern jemand Erfahrenes präsentieren, dem ich einen Raum geben kann – und der diesen Raum wirklich zu nutzen weiß.“

Kader Attias erste institutionelle Soloschau in Deutschland beruht tatsächlich auf einem ausgeklügelten Raumkonzept. Der Titel „Reparatur. 5 Akte“ erinnert an ein Theaterstück. Werden das Erdgeschoss und die Halle im Souterrain der Kunst-Werke also zur Bühne umgewandelt? Nicht ganz. Genauer gesagt handelt es sich um eine Mischung aus Inszenierung und Werkstatt, denn Raum für Raum gibt der in Berlin und Algier lebende Künstler anhand einer Fülle an Gestalten, Masken, Requisiten, Videos sowie überraschenden Kombinationen und Perspektiven immer wieder Einblicke in sein künstlerisches Denken. Während der Besucher durch die Ausstellung wandelt und die Werke betrachtet, sieht er Attia förmlich beim Arbeiten zu.

Vielleicht will der Künstler mit den klugen Augen unter schwarz gekräuseltem Haar deshalb die Journalisten beim ersten Streifzug durch sein düsteres Labyrinth nicht begleiten. Danach diskutiert und erläutert er bereitwillig, unermüdlich, mit ausholenden Gesten. „Ich wünsche mir“, sagt der 1970 in einer Pariser Banlieue geborene Attia, „dass jeder meine Kunst versteht.“

Als Grenzgänger zwischen Europa und Afrika thematisiert Attia den Austausch zwischen den Kulturen – einschließlich aller Missverständnisse und Ausbeutungsversuche. „Wiederaneignung“ ist schon lange ein Schlüsselwort für den Künstler. Mit einer Videoprojektion von LP-Hüllen afrikanischer Bands und eingespielten Musikausschnitten beginnt sein Parcours. Im Zuge der Sklaverei entwickelten sich Blues, Jazz oder Salsa in Amerika. Covertitel wie „African Fire“ belegen die Heimkehr der Klänge in die Alte Welt und deren Weiterentwicklung.

Im „Zweiten Akt“ dominieren Metallregale voller Bücher aus der Kolonialzeit und – je nach Perspektive – verstörende Menschendarstellungen. Attia entwickelt hier seine Installation der Documenta 13 aus dem vergangenen Sommer weiter. Wie im Kasseler Fridericianum sind in den Kunst-Werken grotesk entstellte Soldatengesichter zu sehen. Der Künstler ließ nach Fotos operierter Versehrter aus dem Ersten Weltkrieg Skulpturen aus Teakholz durch einen senegalesischen Bildhauer anfertigen.

Hinzu kommt eine neue Werkserie, die aus den Marmorwerkstätten von Carrara stammt. Die weißen Büsten zeigen afrikanische Stammesmitglieder, die aus westlicher Perspektive zunächst „deformiert“ wirken. Kader Attia inszeniert prozesshaft das Fremdeln, genauer: die Angst vor dem anderen und deren mögliche Überwindung.

„Reparatur“ ist zu einem Kernbegriff für den Künstler geworden, der damit einen universalen Mechanismus verbindet. Dass Verletzte – etwa im Krieg – operativ versorgt werden müssen, ist dabei für ihn nur ein Teilaspekt dieses Gesamtvorgangs. „Reparatur ist überall“, sagt Attia und streift im Gespräch von der Biologie bis zur Quantenphysik so ziemlich alle Sparten, in denen sich das Prinzip der Rekonstruktion, des kontinuierlichen Ersetzens, Auffüllens, Wiederaufbaus zeigt.

Das Problem, so glaubt Attia, liege in der Kultur, vor allem der westlichen. Demnach macht der moderne Mensch alles falsch. Zum Beispiel zieht er immer wieder Grenzen, etwa auf dem Schwarzen Kontinent der Kolonialzeit, wodurch die ursprünglichen Übergänge, Verkehrs- und Handelszonen eliminiert wurden. Hybris versus Reparatur: Attia illustriert den Unterschied anhand zerbrochener Spiegel, die nicht bruchlos geflickt, sondern mit groben Bändern zusammengenäht sind. Ein Zwischenraum entsteht, etwas Neues. Alles ist im Fluss. Und nichts bleibt, wie es war.

In einem anderen Raum prangert Attia die Tendenz zur perfekten Rekonstruktion und Imitation der Natur an. In drei Vitrinen konfrontiert er nach westlicher Manier ausgestopfte Tiere mit afrikanischen Masken, die von einem weniger destruktiven Naturverständnis zeugen.

Die abgedunkelte Halle (fast) am Ende der Inszenierung gehört dem australischen Prachtleierschwanz und seiner Strategie der Reparatur, des Widerstands (Attia: „Kultur ist ein Missverständnis!“). Auf einem Monitor läuft der Ausschnitt einer BBC-Tiersendung als Dauerschleife, ansonsten ist die Halle leer. Auf einzigartige Weise vermag der Vogel fremde Klänge zu imitieren, den Gesang anderer Vögel, aber auch das Klicken von Fotoapparaten und das Anlassgeräusch der Kettensäge, die seinen Lebensraum zerstört. Aber eben auch unseren. Ein Vogel twittert vom Ende der Welt. Jens Hinrichsen

Kunst-Werke, Auguststr. 69, bis 25. 8.; Mi bis Mo 12–19, Do 12–21 Uhr.

Jens Hinrichsen

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