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Der Übersetzer Peter Urban in seinem Arbeitszimmer, wo er sich an seiner Adler-Maschine abrackert.

© privat

Ausstellung in Berlin: Peter Urban, der Ritter der Worte

Er übersetzte unter anderem das Gesamtwerk von Tschechow. Die Ausstellung "Urbans Orbit" in Berlin gewährt Einblicke in den Nachlass des Übersetzers Peter Urban.

Vielleicht ist es der Traum vieler literarischer Multitasker, für jedes Projekt einen eigenen Schreibtisch zu haben. Aber wenn man nicht gerade in einem kleinen Nest im strukturschwachen Vogelbergkreis sitzt, wo große Häuser bezahlbar sind und man Schweineställe in Bibliotheken umwandeln kann, bleibt das ein unerfüllbarer Wunsch.

Der Übersetzer Peter Urban (1941– 2013) hatte ihn sich bereits vor Jahrzehnten erfüllt. Autark hauste er zwischen Büchern, Bildarchiv, Zettelkästen und Glossarien, weil er davon überzeugt war, nur so „seinen“ Autoren, die er für das deutsche Publikum teilweise erst entdeckte, gerecht zu werden. Ablenken ließ er sich nur im Herbst, wenn er in die Pilze ging.

Urban übersetzte das Gesamtwerk von Tschechow

Untrennbar verbunden mit dem Fürsprecher der russischen Literatur ist insbesondere die Großedition von Anton Čechov, die er in eben dieser Umschrift des Namens für den Diogenes Verlag besorgte. Zu seinem Kosmos gehören aber auch Isaak Babel, Daniil Charms oder Velimir Chlebnikow, der bedeutende russische Avantgardist.

Einblicke in „Urbans Orbit“ gibt nun, nachdem der Nachlass vom Literaturarchiv in Marbach übernommen wurde, eine Ausstellung anlässlich des 20. Jubiläums des Deutschen Übersetzerfonds. In den Räumen des Literarischen Colloquiums am Wannsee wurden drei von Urbans Schreibtischen nachempfunden, um einmal, so Andreas Tretner, der die Ausstellung zusammen mit Marie Luise Knott kuratierte, „das vermittelnde Übersetzersubjekt und dessen meist unbeachteten Nachlass“ in die Aufmerksamkeitszone zu rücken.

Ein Bild des Dichterfreundes überm Schreibtisch

Zu entdecken gibt es in den naturgemäß textlastigen Hinterlassenschaften des Slawisten, der unter anderem in Belgrad studierte, wo auch seine Freundschaft mit dem serbischen Lyriker Miodrag Pavlović ihren Anfang nahm, einiges. Vor dem wandgroßen Foto des jeweiligen Schreibtischs finden sich Texttafeln mit Briefauszügen oder Übersetzungsbeispielen, thematisch geordnete Mappen fokussieren besondere Aspekte in der Beziehung zwischen Autor und Übersetzer. 1966 macht Pavlović den „lieben Peter“ etwa darauf aufmerksam, dass es bei Lyrikübertragungen sprachliche Grenzen gebe und Urban diese „schon sehr weit gesteckt“ habe. Worauf der Übersetzer einräumt, dass er selbst vielleicht „so empfindlich wie ein Dichter“ sei.

Steht im Fall Pavlović der persönliche Austausch im Mittelpunkt, wird am Čechov-Schreibtisch Urbans Arbeitsweise transparent, seine akribische Beschäftigung mit dem Wort, die sich in unzähligen Wortkonkordanzen und Vokabelkärtchen vergegenständlichte. Er war ein Perfektionist, der sich durch alte Übersetzungen grub und kompromisslos sprachlichen Strukturproblemen nachging.

Er lehnte die digitale Technik ab

Legendär sind Urbans weitverzweigte Verweisnetze, die sich in opulenten Anmerkungsapparaten niederschlugen. Als Werkzeuge dienten ihm Telefon, Stift und eine alte Adler, die Segnungen des digitalen Zeitalters verweigerte er. Quersubventioniert wurde die Čechov-Edition durch die Theaterrechte, denn die bis heute spärlichen Übersetzerhonorare hätten Urban, nachdem dieser seine Lektorentätigkeit bei Suhrkamp und später beim Verlag der Autoren aufgegeben hatte, einen solchen Aufwand nicht erlaubt.

Deutsche Lyriker sollten den russischen Dichter Chlebnikow nachdichten

Im Abrechnungsrundbrief zum Chlebnikov-Projekt, der in einem kleinen Begleitheft zur Ausstellung abgedruckt ist, lässt sich seine Hungerleider-Existenz erahnen. Der Chlebnikov-Schreibtisch ist ein literarisches Abenteuer besonderer Art. Um dem deutschen Publikum den „ehrenhaften Ritter unseres politischen Kampfes“ und „Wegbereiter der sowjetischen Literatur“ (Majakowski) näherzubringen, bat Urban 1967 eine Reihe deutschsprachiger Lyriker, Chlebnikov nachzudichten. Unter anderem ließen sich Paul Celan und Oskar Pastior, der 724 Verse verfasste, Ernst Jandl und Franz Mon, Hans-Magnus Enzensberger und der wiederentdeckte Otto Nebel von Chlebnikovs Zeilen – etwa dem lautmalerischen, die Konkrete Poesie vorwegnehmenden Gedicht „Beschwörung durch Lachen“ – verführen. „Vor Chlebnikow fürchte ich mich einfach“, schreibt Enzensberger lapidar an Urban.

Fraglos war Peter Urban, wie die Ausstellung zeigt, ein Ausnahmeplanet am Übersetzerhimmel, vergleichbar vielleicht mit dem Ulysses-Überträger Hans Wollschläger. Die vielen weniger bekannten, aber unverzichtbaren Literaturvermittler würdigt die Universität Germersheim inzwischen in ihrem fortlaufenden digitalen Übersetzerlexikon.

Literarisches Colloquium Berlin, Am Sandwerder 5, Wannsee, bis 9. Februar. Die Ausstellung ist vor und nach den Abendveranstaltungen zu sehen. Infos: www.lcb.de

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