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Brancusi trifft Speer. Die Halle der Kunst-Werke im Retro-Look.

© Frank Sperling

Ausstellung in der Kunst-Werken: Der Schurke bist du!

„Feind der Sterne“: Die Kunst-Werke präsentieren eine trickreiche Schau von Ronald Jones. Der US-Künstler lässt seine Werke wie Museumskunst aussehen.

Eine Reihe Esstische, zwei Blumenvasen mit Sträußen und vier Skulpturen, die von Constantin Brancusi stammen könnten – derart „Retro“ sah die Halle der Kunst-Werke noch nie aus. Setzt der neue künstlerische Leiter Krist Gruijthuijsen jetzt wider Erwarten auf Klassische Moderne und Design? Überhaupt nicht. Im Zentrum der Schau „Enemy of the Stars“ steht der Künstler und Kritiker Ronald Jones, der seine Werke wie „Museumskunst“ aussehen lassen will. „Ich stelle mir meine Arbeit als eine Art Computervirus vor, der sich einschleicht und dabei stets so wirkt, als gehöre er hierher“, erklärt der 1952 geborene US-Amerikaner.

So entpuppen sich die Keramikvasen als Design von Albert Speer für Hitlers (nie fertiggestellte) Neue Reichskanzlei in Berlin. In den Vasen stecken hochgiftige Pflanzen: Efeu, Spathiphyllum, Bromelien, Anthurium. Bei den Pseudo-Brancusis handelt es sich um HIV-Viren oder Krebszellen, in Bronze vergrößert und auf Sockel gestellt – fertig ist die museal wirkende Skulptur.

Die Werke sind zwischen den 80ern und frühen 90ern entstanden. Danach schuf Jones keine weiteren Objekte mehr, obwohl er als Künstler gefragt war. Er schrieb eine Oper, entwarf mehrere Stadtparks. Bis heute lehrt er an verschiedenen Hochschulen und publiziert in Kunstmagazinen. Vielfalt als Prinzip: „Dass ein Künstler sich allein in bildkünstlerischen Werken ausdrückt, ist doch eine verengte Sicht der Dinge“, sagt Jones. „Sprengt die Spezialisierung“, schrieb Wyndham Lewis 2014 im „BLAST“-Manifest. Der Ausstellungstitel „Enemy of the Stars“ ist einem Lewis-Theaterstück entlehnt. In seinem Manifest listete der britische Autor und Künstler Dinge auf, die entweder „gesegnet“ (to bless) oder „gesprengt“ (to blast) werden sollten.

„Die Widersprüche und Inkonsistenzen aus einer bestimmten historischen Perspektive interessieren uns“, so Gruijthuijsen. Bereits 2014 hatte er eine Jones-Soloschau im Grazer Kunstverein organisiert, gemeinsam mit dem Künstler Jason Dodge, der bei Jones studiert hat und auch diesmal als Ko-Kurator beisteht. Auf Jones sei man bereits vor sechs Jahren gekommen, erzählt Gruijthuijsen: „Wir diskutierten darüber, wie sich Politik in zeitgenössischer Kunst zeigt“, was bei Jones besonders raffiniert der Fall sei.

Ronald Jones konfrontiert den Besucher mit dem Thema Ausbeutung

Wie „Geschichte zum Medium von Kunst wird“ (Dodge) sieht man an einer etwa zwei Quadratmeter großen Fußbodenplatte in der Ausstellung. Wie immer bei Jones, der die Autonomie des Kunstwerks infrage stellt, erklärt der Titel den politischen Kontext: Das Holz könnte aus dem Verhörraum stammen, in dem der südafrikanische Anti-Apartheid-Aktivist Steve Biko 1977 mutmaßlich zu Tode gefoltert wurde. Mit dem Holzmaterial eröffnet der Künstler noch eine weitere Ebene. „Pink Ivory“ war in der Stammestradition von Biko heilig, die Ausfuhr ist nach wie vor verboten. Gesetzesübertretung und Kunstwerk fallen zusammen, mit dem Thema der Ausbeutung wendet sich der Künstler direkt ans Publikum.

Nicht ganz zufällig sieht sich der Betrachter in den Quecksilberspiegeln, auf denen sich langsam zersetzende Porträts von Akteuren der Spanischen Inquisition abgebildet sind. Der Schurke späterer Geschichtsschreibung – könntest theoretisch du sein. Als wären Jones’ Werke nicht schon anspruchsvoll genug, soll die Veranstaltungsreihe „Addendum“ die Schau und ihre Auseinandersetzung mit den Themen Macht, Einfluss, Verantwortung ergänzen, „verkomplizieren“, wie die Ausstellungsmacher zugeben.

Die Kombi funktioniert zu gut, die Künstler geben einander nichts mehr

Diese angekündigten Interventionen, Performances und Film-Screenings scheinen indes sinnvoller als die Erweiterung der Jones-Präsentation zur Gruppenschau. Gruijthuijsen und Dodge haben ihre zweite Jones-Ausstellung nämlich ins „Dialogische“ erweitert. Eine 1935/36 entstandene Porträtserie des Schweizer Fotografen Helmar Lerski, zwei fotografische Werke der Appropriation-Künstlerin Louise Lawler und eine Monitor-Installation von Julia Scher zu Überwachungs- und Sicherheitstechnologie sind mit Ronald Jones’ Werken quasi verflochten. Die beiden US-Künstlerinnen sind mit Jones befreundet. Ausstellungsästhetisch ist das Zusammentreffen derart gut gelöst, dass einem erst später aufgeht, dass die Gegenüberstellungen sich inhaltlich kaum befruchten.

Was wäre an einer reinen Berliner Jones-Retrospektive auszusetzen? „Ich wünsche mir eine Institution, die durch die Künstler spricht und nicht durch den Kurator“, hat Gruijthuijsen gesagt, als er in den Kunst-Werken antrat. Bei „Enemy of the Stars“ sprechen die Stimmen gehörig durcheinander.

KW, Auguststr. 69, bis 6. 8.; Mi bis Mo 11–19, Do 11–21 Uhr

Von Jens Hinrichsen

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