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Ausstellung: Meine Schönsten

Die Freundin mit der Kamera: Marianne Breslauers Retrospektive in der Berlinischen Galerie

Ein Badeausflug nach Sacrow. Scherzend und rauchend räkeln sich vier Freundinnen auf ihren Handtüchern. Die Träger ihrer Badeanzüge haben sie abgestreift – für makellose Dekolleté-Bräune. Zu ihren Füßen liegt eine schläfrige Dogge.

In nur sechs Fotografien erzählt die damals 24-jährige Marianne Breslauer von diesem Sommertag 1934. Die wenigen Aufnahmen sind derart suggestiv und lebendig, dass sie eine nahezu filmische Wirkung entfalten. Die Umgebung der zum Teil stark angeschnittenen Szenen kann der Betrachter mühelos imaginieren – als sitze man selbst mit auf der Uferwiese. Was zum einen daran liegt, dass die Fotografin ihre Freundinnen abgelichtet hat – die vertrauensvolle Atmosphäre spiegelt sich in den Bildern. Aber vor allem an Breslauers Beobachtungsgabe und ihrer geschickten Wahl der Ausschnitte.

Die Sacrow-Serie, die ein wenig an den Film „Menschen am Sonntag“ (1930) erinnert, ist beispielhaft für Marianne Breslauers Fotografie. Sie zeigt ihre Vorliebe für Diagonalkompositionen, ihr Interesse an Alltagsthemen und vor allem ihr meisterhafte Art, den modernen Frauentypus der Weimarer Republik einzufangen. Selbstbewusste junge Städterinnen strebten damals nach Unabhängigkeit und Vergnügen.

Berlin war die Metropole der „Neuen Frau“. Marianne Breslauer, die aus wohlhabendem Hause in Dahlem stammte, gehörte zu dieser Gruppe, wie viele ihrer Freundinnen. So hat sie oft in diesem Kreis fotografiert. Und so sind es denn auch die Frauenporträts, die nun, neun Jahre nach ihrem Tod 2001, ihre erste Berliner Retrospektive in der Berlinischen Galerie eröffnen. Die Ausstellung „Unbeachtete Momente – Fotografien 1927–1936“ wurde von der Fotostiftung Schweiz in Winterthur übernommen, wo Breslauers Nachlass lagert. Zudem öffneten ihre Söhne Walter und Konrad Feilchenfeldt ihre privaten Bestände.

Eine Freundin Breslauers war auch die androgyne Schweizer Autorin und Fotografin Annemarie Schwarzenbach. Breslauer bezeichnet sie in ihren Lebenserinnerungen als „das schönste Lebewesen, dem ich je begegnet bin“. Sie hat sie oft porträtiert. Etwa in Spanien, wo die beiden 1933 auf Reportagereise waren. Dabei entstand unter anderem Breslauers Lieblingsfoto: die Aufnahme eines lachenden Schulmädchens im schwarzen Kleid – sie ist neben weiteren Spanien-Motiven in der Ausstellung zu sehen.

Reise- und Straßenfotografie, auch das ein Schwerpunkt in Breslauers Oeuvre, das in nur neun Jahren entstand. Nach der Fotografie-Ausbildung am Berliner Lette-Verein geht Breslauer 1929 nach Paris und wird Schülerin von Man Ray. Doch der Meister findet, dass sie eigentlich schon alles könne: Sie solle einfach so weitermachen. Also durchstreift die Berlinerin mit ihrer Spiegelreflexkamera die französische Hauptstadt, auf der Suche nach „unbeachteten Momenten“. Sie findet schlafende Clochards, geduldige Angler an der Seine und verwaiste Gartenstühle im Jardin du Luxembourg.

Ganz ähnlich blickten damals auch André Kertész, Brassaï und Germaine Krull auf Paris. Die Bilder der erst 19-Jährigen können sich damit messen. In ihren Erinnerungen schreibt Breslauer: „Diese Art von Photographie lag damals in der Luft, und ich glaube, dass ich all dies recht früh gespürt habe. Ich bilde mir auch ein, meine Photos hätten eine gewisse Poesie. Mit der neuen Sachlichkeit, die in den 20er Jahren im Schwange war, haben sie jedenfalls nichts zu tun.“ In der Tat gibt es keine neusachliche Distanziertheit in ihren Bildern. Dem sogenannten „Neuen Sehen“ kann sie jedoch zweifellos zugerechnet werden: ungewöhnliche Perspektiven, harte Anschnitte, Kontraste – all das findet sich bei ihr.

Nach Hitlers Machtantritt wird es für die Fotografin fast unmöglich, ihre Bilder in der deutschen Presse zu veröffentlichen. Ihre Familie hat jüdische Wurzeln, ist jedoch völlig assimiliert – sie feiert sogar Weihnachten. Die Nazis hält man zunächst für einen Spuk, der vorübergehen wird. Als sich das als Irrtum erweist, emigriert Marianne Breslauer 1936 nach Amsterdam, wo sie den Kunsthändler Walter Feilchenfeldt heiratet. Drei Jahre später wird ihr erster Sohn geboren. Die Familie gelangt schließlich in die Schweiz. 1948 gründen die Feilchenfeldts eine Kunsthandlung, die Marianne nach dem Tod ihres Mannes 1953 weiterführt.

Dass sie während des Kriegs mit dem Fotografieren aufhört, liegt zum einen einen daran, dass ihr Mann sie stark in den Kunsthandel einbindet, zum anderen scheint ihr das Medium ausgereizt: „Wenn ich weiter in dem Bereich gearbeitet hätte, wäre ich zum Film gegangen. Mit dem Fotografieren war ich fertig.“

Erst in den Achtzigern wird sie wiederentdeckt. Das Verborgene Museum organisiert eine Einzelausstellung, 1989 folgt die Nationalgalerie, 1999 erhält sie den Hannah-Höch-Preis. Fast 90-jährig kommt sie aus der Schweiz noch einmal in ihre Geburtsstadt, um die Ehrung entgegenzunehmen und eine kleine Ausstellung zu eröffnen. Über die Stadt sagt sie: „Berlin ist nicht wiederzuerkennen, aber doch erkennbar.“ Ihren unbestechlichen Blick hat sie sich zeitlebens bewahrt.

Berlinische Galerie, bis 6. September,

Mi–Mo 10–18 Uhr, Katalog: 38 €

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