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Wagner, die Ratte?

© Björn Verloh

Ausstellung: Mensch, Meister, Mythos

Was Künstlern und Regisseuren zu Richard Wagner einfällt – eine Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste. Im Zentrum befindet sich eine Ratteninstallation. Die Hauptratte liest auf Neuenfels’sche Weise röchelnd einen vor Aberwitz, Hellsichtigkeit und Expressivität berstenden Brief des jungen Sigmund Freud über Wagner.

Im Foyer des ersten Stocks macht Akademiepräsident Klaus Staeck sein wachsamstes Gesicht. Darin steht unter anderem geschrieben, dass dieser Wagner von ihm aus so alt werden könne, wie er wolle, 200 Jahre hin, 200 Jahre her: Die Berliner Akademie der Künste sei nie und nimmer eine Filiale von Bayreuth, selbst wenn die Revolutionäre deutscher Nation dort inzwischen ihre Jahrestreffen abzuhalten pflegen. Nein, diese Ausstellung, nach Aufwand, Umfang und innerer Spannung wohl eine der größten der Akademie, war nicht seine Idee. Das Begleitlogo von „Wagner 2013“ ist nicht etwa ein Wagner-, sondern ein Ratten-Porträt. Wagner, die Ratte?

Zum Pressegespräch haben außerdem die „Ratten“- und die „Genie“-Fraktion Platz genommen. Letztere vertritt Achim Freyer, einst Brechts Meisterschüler. Er gesteht, sich heute mit seinem einstigen Lehrer schlagen zu wollen – für Wagner: Der habe den Verfremdungseffekt erfunden, nicht Brecht. Eben noch inszenierte Freyer den „Ring des Nibelungen“ in Los Angeles, jetzt in Mannheim. Er halte die Tetralogie für das größte Werk Wagners, hell bis in die feinsten Verästelungen, und vor allem: zeitlos. Denn Zeitlosigkeit bedeute, ein Stück in eine Ferne zu setzen, die uns nah ist. Das längst Übliche hingegen sei Imitation. Geht das gegen den Ratten-Regisseur?

Hans Neuenfels hat 2010 in Bayreuth den „Lohengrin“ als Rattenoper inszeniert. Da stehen viele Chöre rum: Als weiße, rosa und schwarze Ratten sind sie rein choreografisch gesehen schon mal erlöst, und das wiederkehrende Fragemotiv der Oper macht aus ihnen mehr als einen der gefürchteten Neuenfels’schen Einfälle: „Sie süchteln nach einem Führer, sie süchteln nach einem Inhalt.“

Eine Ratteninstallation bildet denn auch das Herz der Ausstellung, und die Hauptratte liest auf Neuenfels’sche Weise röchelnd einen vor Aberwitz, Hellsichtigkeit und Expressivität berstenden Brief des jungen Sigmund Freud über Wagner. Der 21-jährige Freud spricht, als sei ihm das Herz ins Hirn getreten. So hat Wagner selbst es formuliert, und jeder, der ihn wirklich hört, erlebt das wohl wieder. Nein, eben nicht Rausch: Das Herz beginnt zu denken, das Hirn zu fühlen.

Freud hört Wagner. Spätestens hier ist der neuralgische Punkt berührt. Nie habe ein Künstler so gegen das Humane verstoßen, sagt Neuenfels, wenn auch nicht in seiner Musik. In dieser Musik sei kein Antisemitismus. Barrie Kosky, Intendant der Komischen Oper, hält jeden, der das behauptet, für taub oder für einen Lügner. Er hat in Hamburg den „Ring“ voller wahlweise antisemitischer oder germanischer Karikaturen inszeniert. Es gibt keine Erklärung für Wagners Antisemitismus, sagt Neuenfels, und Kosky interessiert sie gleich gar nicht: Antisemitismus sei Antisemitismus, seit 2000 Jahren. Punkt. Aber gibt es ein bedenklicheres Mythologem? Und muss man den Komponisten Wagner wirklich vom Menschen Wagner trennen, um ihn überhaupt zu ertragen, wie auch Staeck meint?

Im ersten Raum demonstriert Friedrich Dieckmann mit einer biografischen Collage aus seinem wunderbaren Buch „Richard Wagner in Venedig“, wie das Gegenteil zu denken wäre. Während man davorsteht, klingen Tristan-Vorspiel, Walkürenritt, Lohengrin-Vorspiel und Siegfrieds Trauermarsch herüber. Die Künstlergruppe „Fettfilm“ zeigt in einer Multimedia-Installation, wie all jene, die Wagner nicht kennen, ihn doch kennen: als Filmmusiker. Von Chaplins „Großem Diktator“ über Coppolas „Apocalypse Now“ bis zu John Boormans „Excalibur“.

Die Ausstellung rekonstruiert die grandiosen, nie aufgezeichneten „Ringe“-Inszenierungen von Ruth Berghaus in Frankfurt und Joachim Herz in Leipzig. Sie dokumentiert Arbeiten, die nie realisiert wurden wie die Verfilmung von Freyers Los-Angeles-„Ring“ oder Einar Schleefs „Parsifal“ von 1994. Heiner Müllers „Tristan“ ersteht wieder vor unseren Augen und natürlich auch Chereaus Jahrhundert-„Ring“ von 1976. Vor allem aber: In unzähligen Künstlergesprächen eröffnet sich gleichsam eine „Ring“-Welt der dritten Art. Es geht immer wieder neu, immer wieder anders um das sich nie gleichende Gleiche. Wahrscheinlich bräuchte man bis Weihnachten, um alles zu hören. Es würde sich lohnen.

Wagner war Mitglied dieser Akademie. Zwecks Aufnahme um Auskunft über Titel und Stellung gebeten, teilte er ihr mit, „dass meine Stellung und Titel darin zusammenfallen, dass ich weder eine Stellung noch einen Titel habe“. Die alte, neue Position des Künstlers in der Welt, sehr exzentrisch. Und dennoch seine eigene Stimme finden und behaupten!

Am Anfang dieser Ausstellung stand übrigens das erstaunte Bemerken vieler Akademiemitglieder, dass die meisten sich irgendwann in den Netzen ihres früheren Kollegen verfangen haben und da nie wieder ganz herausfanden. Läuft bei ihm nicht alles in eins, was selbst die Akademie der Künste ebenso selbstverständlich wie bedenklich trennt: Sektion Darstellende Kunst, Sektion Musik, Sektion Literatur …? Plötzlich gehen alle zusammen. Man könnte, was da jetzt an der Akademie entsteht – auch in den begleitenden Veranstaltungen – auch ein Gesamtkunstwerk nennen.

Bis 17.2. in der AdK am Hanseatenweg, mit großem Begleitprogramm. Am Sonntag, 17 Uhr: „Brünnhilde doesn’t live here anymore“, Film und Gespräch mit Jürgen Flimm und Dieter Borchmeyer

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