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Ausstellung: Nationalgalerie Berlin: Feuer und Farbe

Mit Farbe bauen: Das ist eine von Rupprecht Geigers Maximen. Die Neue Nationalgalerie Berlin würdigt den Maler zu seinem 100. Geburtstag.

Was soll einer auch tun, der als Architekt begann und dann, durch traumatische Kriegserlebnisse in Russland beeinflusst, zur Kunst gefunden hat? Zu bauen gab es im kriegszerstörten München ohnehin nichts. Und zu malen? „Wenn man so schreckliche Dinge erlebt hat, kann man keine Menschen mehr malen“, sagte Rupprecht Geiger, als er nach 1945 im Atelier des Vaters, des Münchner Malers Willi Geiger, mit Farbe zu experimentieren begann. Die rote Sonne am weiten russischen Himmel glüht in seinen Arbeiten nach – bis heute.

Ein Architekt ist Rupprecht Geiger gleichwohl auf gewisse Weise geblieben, mit seiner bedingungslosen Hinwendung zur Abstraktion. Kreis, Oval, Rechteck und Quadrat sind die Grundelemente seiner Kunst. Und gleichzeitig ist da die reine Farbe, dieses Vibrieren, alles ist Energie, Kraft, ein Leuchten und Strömen. Da braucht es schon den Rahmen, die strenge geometrische Form, um diese Kraft zu fassen. „Farbe hat, wie Licht, Anspruch, in die Reihe der Elemente eingestuft zu werden – Feuer, Wasser, Luft, Farbe, Licht und Erde“, hat Geiger 1975 proklamiert.

Man sollte meinen, dass diese Kunst der fast fernöstlichen Konzentration – immerhin war Geiger nach dem Krieg in München Mitbegründer der Gruppe Zen 49 – nun, zum 100. Geburtstag des Künstlers, wie keine andere in Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie passt. Der Kunsttempel, ganz auf Raster und Quadrat aufgebaut, eine strenge Form, die gleichzeitig in ihrer gläsernen Halle genügend Weite, Offenheit und Luft bietet, um Geigers energetische Farbflüsse so recht zum Strömen zu bringen.

Doch so streng sich der Ausstellungsarchitekt Paul Kahlfeld an die vorgegebenen Formen hält und mit weißen Raumteilern geometrische Gehäuse wie Kubus, Apsis oder Wand in den Raum baut – es passt nicht recht. Da mag die legendäre „Rote Trombe“, 1985 erstmals in der Berliner Akademie der Künste am Hanseatenweg aufgebaut, noch so sehr dem benachbarten Dach des Sony-Centers ähneln und die Apsis an den ursprünglichen Aufstellungsort der Arbeiten in der Heiliggeistkirche in Landshut erinnern: Es funktioniert nicht. Der reine Raum, den Mies aus Luft und Licht und schwebendem Dach gebaut hat, wirkt verstellt, den Arbeiten bekommt der Mix aus weißem Hintergrund und Durchblick nach draußen nicht. Die große Halle, die sich so selten der Kunst ergibt, erweist sich wieder einmal als tückisch. Zwar mag die Einbau-Architektur konservatorischen Gründen geschuldet sein und die fragilen Stoffbahnen vor zu hohen Lux-Zahlen schützen: Hier baut die Farbe keine Räume. Sie stößt sich an ihnen.

Als ultimative Ehrung eines großen deutschen Künstlers ist das Gebotene außerdem zu wenig. Anfang des Jahres war mit der Retrospektive im Münchner Lenbachhaus und der Farbbahn-Installation im Haus der Kunst ein reicherer, inspirierenderer Doppelschlag gelungen. Immerhin: Das Haus der Kunst in München, dieser pompöse NS-Propagandabau und Ort der „Entartete Kunst“-Ausstellung auf der einen sowie das Mies’sche, an die Berliner Mauer gesetzte Spätwerk auf der anderen Seite - das ergibt eine atemberaubende Dualität. Da hat Generaldirektor Peter-Klaus Schuster schon Recht. Für Geiger, den Sohn eines von den Nationalsozialisten als „entartet“ verfolgten Malers, ist es die Klammer seines Lebens.

Doch die Berliner Ausstellung beschränkt sich auf rund zwanzig frühe, sicher höchst aufschlussreiche Werke im Untergeschoss – und in der großen Halle auf drei Gruppen der jüngeren Zeit. Neben der zeltartigen, den Besucher zum Eintauchen ladenden „Roten Rombe“ finden sich hier die beiden acht Meter hohen Farbbahnen „Morgen Rot“ und „Abend Rot“ aus der Heiliggeistkirche in Landshut. Und der aus vier Bildern bestehende Raum, den Geiger 2001 für die Biennale in São Paulo geschaffen hat.

Spätwerke also. Spätwerke eines erstaunlich Junggebliebenen. Dass sich Geigers Werk, das seit den siebziger Jahren auf dem Grundton Rot baut, nicht eigentlich entwickelt, sondern auf höchst eigensinnige Weise seinen Prinzipien treu bleibt, haben Kuratoren und Kritiker immer wieder bemerkt. Gerade in den Bildern für São Paulo kommt diese Eigenart noch einmal aufs Schönste zur Geltung: Da ist nichts von der kontemplativen Stille eines Mark Rothko. Geigers Weg ist die vita activa, ist die durchaus aggressive Geste einer Farbe, die ins Auge springt und beißt und flimmert und glüht und erst bei längerem Hinsehen zur Ruhe findet. „Sie spüren ein Bild von Rupprecht Geiger, selbst wenn es sich in Ihrem Rücken befindet“, hat der ehemalige Nationalgalerie-Direktor Dieter Honisch einmal gesagt. Für das Spätwerk gilt das um so mehr.

Und dann sitzen bei der Pressekonferenz Sohn Florian und Enkelin Julia da und erzählen, wie Rupprecht Geiger an den Bildern für Brasilien malte: schöne Anekdoten aus dem Hause Geiger. Bis zu sechs Stunden habe der Künstler ununterbrochen an den bis zu drei Meter hohen Leinwänden gearbeitet. Eine Strapaze für den 95-Jährigen, gewiss. Aber auch ein steter Quell der Kraft. „Rot macht high“, hat Geiger selbst gesagt. Kein Wunder, dass er 100 Jahre geworden ist, und immer noch aktiv. Es könnten auch 110 werden.

100 Jahre Rupprecht Geiger. Neue Nationalgalerie, Potsdamer Str. 50, bis 5. 10, Di–Fr 10–18, Do bis 22, Sa + So, 11–18 Uhr. Der Katalog erscheint in zwei Wochen.

Christina Tilmann

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