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Wellengang: In Gabriele Kostas' Fotoarbeit "Felder" hinterlässt der Wind seine Spurn und drückt die Halme nieder. Hier ein Ausschnitt aus dem eigentlich neunteiligen Werk.

© Gabriele Kostas

Ausstellung "Naturzeichenzeichnen" der Alfred-Ehrhardt-Stiftung: Vom Winde verwischt

Welke Blumen, wilde Wiesen, Pferde und Bäume: Janos Frecot präsentiert „Naturzeichenzeichnen“, eine fabelhafte Foto-Ausstellung in der Alfred-Ehrhardt-Stiftung.

Die Raubkatze an der Wand und ein paar exotische Schmetterlinge hinter Glas: So sieht es aus, wenn einer in der Natur wenig mehr sieht als Dekor zur Gestaltung delikater Oberflächen. Heidi Specker, Berlins fotografische Expertin für Rasterfassaden, hat gleich mehrere solcher Ensembles aus wilder Mustertapete mit JaguarPrint, schweren Vorhängen und runden Rahmen voll aufgespießter Falter ganz sachlich festgehalten. „Via Napione“ heißt ihre kleine Serie, die nicht zu erkennen gibt, ob die Künstlerin diese Kombinationen bloß bizarr oder auch ein bisschen bestürzend findet. Entstanden sind die Aufnahmen im Appartement von Carlo Mollino: Der Turiner Architekt und Designer, der 1973 starb, arrangierte die Dinge mit Sinn für Subtiles. Zugleich wirken sie wie in Schönheit erstarrt.

Jeder der 15 Künstler sieht die Natur anders

Das liegt allerdings auch ein wenig an Janos Frecot, dem Kurator der aktuellen Ausstellung in der Alfred-Ehrhardt-Stiftung. Daran, wie er mit den ausgewählten Motiven verfährt, was er wohin hängt und miteinander kombiniert. So finden sich Speckers Interieurs neben drei Aufnahmen von Michael Schmidt. Der Virtuose der Schwarz-Weiß-Fotografie mit all ihren grauen Nuancen gilt zwar auch nicht gerade als jemand, der die Natur in ihrer überbordenden Üppigkeit feiert. Frecot hat jedoch eher ungewöhnliche Motive des 2014 verstorbenen Künstlers ausgewählt: Ansichten aus dem Wald, die mal das Dickicht, mal die soldatische Reihung von schlanken Stämmen in den Fokus nehmen und ihre subtile Ästhetik beleuchten.

Nah dran. Ponyhaar – aus Jitka Hanzlovás Serie „Horses“, 2010.
Nah dran. Ponyhaar – aus Jitka Hanzlovás Serie „Horses“, 2010.

© J. Hanzlová/Kicken Berlin

Beide Künstler passen hervorragend in die Schau mit dem schwergängigen Titel „Naturzeichenzeichnen“. Die Absicht Frecots, der bis 2002 die Fotografische Abteilung der Berlinischen Galerie leitete und sie um wichtige Erwerbungen bereichert hat, wird jedoch dank seiner famosen Arrangements offenkundig. Nahezu alle Bilder sind unter freiem Himmel entstanden, zeigen Blumen, Blätter, Bäume. Und doch treffen sie abweichende, manchmal geradezu konträre Aussagen. Allein schon, weil jeder der hier vertretenen 15 Künstler in der Natur etwas anderes sieht.

Wirklichkeit, fragmentarisch fotografiert, werden zu Rätseln

Dieser „subjektive Blick“, das Nachzeichnen der eigenen Wahrnehmung per Fotografie, diente Frecot als Idee. Ursprünglich sollten auch Klassiker der Fotogeschichte hier hängen, doch sei das Licht in den Räumen der Stiftung zu stark für die historischen Bilder, erzählt er. Nun hat Frecot sich auf Zeitgenossen konzentriert und fast immer mehrere Werke ausgesucht, weil erst in der Reihung seiner Ansicht nach ein konzeptueller Ansatz deutlich wird. Von Jitka Hanzlová etwa sieht man gleich zwei Serien. Die eine, „Horses“ (2007–2012) versammelt wunderbare Detailaufnahmen von Pferdeleibern, etwa vom langen Bauchfell eines Ponys, das von oben schwarz ins Bild ragt und einen glauben lässt, die tschechische Künstlerin habe ihre Fotos im Nachhinein bearbeitet. Dabei ist es Hanzlovás Strategie, Wirklichkeit so fragmentiert zu präsentieren, dass ihre poetischen Arrangements zu Rätselbildern mutieren.

Berlins zerstörte Fassaden

Wellengang: In Gabriele Kostas' Fotoarbeit "Felder" hinterlässt der Wind seine Spurn und drückt die Halme nieder. Hier ein Ausschnitt aus dem eigentlich neunteiligen Werk.
Wellengang: In Gabriele Kostas' Fotoarbeit "Felder" hinterlässt der Wind seine Spurn und drückt die Halme nieder. Hier ein Ausschnitt aus dem eigentlich neunteiligen Werk.

© Gabriele Kostas

Ähnlich verfährt Rainer König, emeritierter Professor für Fotografie, dessen Bilderschatz unlängst von der Sammlung Collection Regard an die Öffentlichkeit gebracht wurde. König dokumentiert die Entwicklung Berlins nach 1945. Selbst als die Stadt zerstört und ruinös war, gewann der ausgebildete Architekt ihren Fassaden strukturelle Muster ab.

Sterbende Blüten, welke Leiber, faltende Blumenhaut

Seinen Bildern gegenüber hängt ein Stillleben von Amin El Dib, das ebenfalls Verfall zeigt, sich dabei aber auf den Ausschnitt welker Blumen in einer Vase konzentriert. Die sterbenden Blüten gewinnen plötzlich etwas Körperliches, erinnern an Haut oder innere Organe. Frecot assoziiert dazu gleich auch den typischen Geruch von Sträußen, die zu lange im Wasser gestanden haben.

So etwas kann bei Floris M. Neusüss nicht passieren. Seit Langem schraubt der Münchner Künstler die alte Technik des Fotogramms in immer neue ästhetische Höhen und beeindruckt auch hier mit Floralem, das er so abstrakt wie dreidimensional aufs Papier bringt. Wie Schatten oder Nachbilder einer Natur, die im Rhythmus der Jahreszeiten längst vergangen ist. Der andere Quergänger, dessen Bilder ohne den herkömmlichen Fotoapparat entstehen, ist der Schauspieler, Schriftsteller und Fotograf Hanns Zischler. Er hat wilde Blumenwiesen durch die Lochkamera fixiert, weshalb sich das jeweilige Motiv wie ein kleiner Orkan präsentiert: im Zentrum scharf und still, drumherum wirbeln die Farben.

Fragile Einmaligkeit im Kornfeld

Janos Frecot ergänzt seine Auswahl um Aufnahmen von Arno Schmidt und Fritz Brill, der einst beim Bauhaus-Lehrer Johannes Itten studierte. Vertreten sind auch Hedwig Bornemann und Gabriele Kostas, die von der Musik kommt und ein grünes Kornfeld im Wind zeigt. Der drückt die Halme nach unten, zeichnet mit ihnen Formen und Wellen und erlaubt der Fotografin nur, im richtigen Moment den Auslöser zu drücken. Den „Schritt vom Notieren zum Begreifen einer fragilen Einmaligkeit“ nennt der Kurator diesen Prozess, der die Differenz zwischen Abbild und Bild ausmache.

Dass sich Frecot auch nach Jahrzehnten der Beschäftigung mit seinem Medium dafür begeistern kann, wenn einem Künstler dieses individuelle Experiment gelingt – auch das vermittelt die Ausstellung.

„Naturzeichenzeichnen“, Alfred-Ehrhardt-Stiftung, Auguststr. 75; bis 13. September. Di–So 11–18 Uhr, Do 11–21 Uhr

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