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Kaspische Badefreuden. Die großformatigen Bilder von Tora Aghabayova scheinen aus einer sowjetischen Modezeitschrift zu kommen.

© me Collectors Room

Ausstellung: Öl aus Teetassen

„Fly to Baku“: Zeitgenössische Kunst aus Aserbaidschan im me Collectors Room in Berlin.

Erdöl, überall Erdöl. Es schießt aus schiefen Turmkonstruktionen, fällt auf in verwinkelten Gassen verschwindende Menschen, trifft neogotische und klassizistische Herrenhäuser, die vor 100 Jahren von den alten Ölbaronen erbaut wurden, und ebenso Kolosse aus Glas und Stahl, die von den neuen Mächtigen in Baku hochgezogen werden. Die mit groben Strichen auf das Blatt geworfenen Bilder von Altai Sadiqzadeh gehören zu den Höhepunkten von „Fly to Baku“, einer Schau im „me Collectors Room“ über zeitgenössische Kunst aus Aserbaidschan.

Die Menschen auf Sadiqzadehs Bildern sehen aus wie Schatten, sie muten kafkaesk an und symbolisieren einen ambivalenten Aufbruch. Aserbaidschan, das kleine Land mit dem großen Ölreichtum, das Dubai des Kaukasus, politisch reaktionär und doch eine Gesellschaft im Wandel. Ein Land, das seine Wurzeln betonen und sich gleichzeitig neu erfinden will. Wovon gerade der Bauboom zeugt, an dem auch Altai Sadiqzadeh als Designer des spektakulären Museums für Moderne Kunst in Baku beteiligt war. Die Künstler nehmen sukzessive ihren Platz ein in Aserbaidschan – das seine Kunstszene nun auch nach außen mit neuem Ehrgeiz offensiv vermarktet.

Den Weg nach Europa suchte Aserbaidschan spätestens 2007 mit einem eigenen Pavillon auf der Biennale in Venedig. 2008 wurde Kunst aus Aserbaidschan in Dresden und Berlin gezeigt, und dennoch ist „Fly to Baku“ die „erste wirklich umfassende Präsentation“ der jungen Kunstszene im Westen, betont Kurator Hervé Mikaeloff. Unter der Regie des Franzosen ist „Fly to Baku“ bereits durch London und Paris getourt, letzte Station nach Berlin ist im kommenden Frühjahr Moskau. „Wir zeigen eine spannende Melange aus sowjetischer Tradition, geschichtlichen Bezügen und einer ganz eigenen, neuen Lust auf intensive Farben“, sagt Mikaeloff. Über Wochen war er durch das zwischen dem Iran, Russland und dem Kaspischen Meer gezwängte Land gereist: „Es gab keinerlei Einschränkungen oder Zensur“, betont Mikaeloff. Dass die Ausstellung von der Heydar Aliyev Foundation gesponsert wird, einer Kulturstiftung unter dem Vorsitz der First Lady des Landes, habe sich auf seine inhaltliche Arbeit nicht ausgewirkt. „Natürlich kann es sein, dass ich nicht alle Künstler zu Gesicht bekommen habe, aber ich konnte sehr frei arbeiten.“ Was nicht selbstverständlich ist, wird Aserbaidschan doch immer wieder wegen der Verletzung von Menschenrechten und der quasi nicht vorhandenen Pressefreiheit kritisiert, zuletzt vor allem anlässlich des Großevents Eurovision Song Contest, das dem kleinen Staat mit den großen Ambitionen ungewohnte Aufmerksamkeit bescherte. Die Familie des Präsidenten Ilham Aliyev ist nicht nur organisatorisch in die Ausstellung involivert, die Bilder seiner Tochter Leyla Aliyeva hängen auch gleich am Anfang des Rundgangs durch der Ausstellungshalle.

Die neue Generation gibt sich apolitisch

Auf ihnen zu sehen sind schwarze, schuppige Meerjungfrauen, zerfaserte Wesen, die sich das pochende Herz heraus reißen. Wüst, wütend und widerspenstig sind die Frauen. Andere Künstler präsentieren Öl in Teetassen, Matratzen mit den Abdrücken menschlicher Körper, grazile Skulpturen aus Metall, Alltagsfotografie aus Baku oder sozialistisch konnotierte Urlaubsidylle in weichen Pastellfarben. Nicht nur thematisch, auch stilistisch ist die Schau vielfältig, ohne beliebig zu wirken. „Die Phase, in der aserbaidschanische Künstler nur dem Westen nacheiferten, ist vorbei“, so Mikaeloff.

Ein Vertreter der jungen Generation ist Farid Rasulov, der auf drei wandfüllenden Gemälden chirurgische Instrumente und verfallendes Obst ineinander verschränkt. Der studierte Arzt wollte als Künstler einen Beruf ergreifen, der ihn „möglichst frei und unabhängig macht“. Sein Land beschreibt der 27-Jährige als eines der fast unbegrenzten Möglichkeiten: „Es bewegt sich im Moment einfach viel“. Wie die gesamte Ausstellung hat auch Razulov mit Politik schlichtweg nichts zu tun – was einen etwas irritiert, weil sich doch auch die Künstler als Bürger ihres Landes zwangsläufig mit den gesellschaftlichen Bedingungen auseinandersetzen müssen. Faig Ahmed, der orientalische Teppiche in aufwendigen Skulpturen neu in Szene setzt, spricht lieber von einem „visuellen Erbe und ornamentalen Formen“, an die sich die junge Künstlergeneration seines Landes nun wieder erinnere. „Ein Teppich ist das stärkste visuelle Moment des Islam“, sagt er. Indem er ihn von der Wand und damit aus seinem gewöhnlichen Kontext entfernt, schafft Ahmed die Verbindung zwischen einer starren Tradition und einer bei ihm geradezu psychedelisch fließenden Gegenwart.

„Fly to Baku“ ist sehenswert, multiperspektivisch und kann mit Recht als die Ankunft der Kunstszene Aserbaidschans in Europa betrachtet werden. Wer die wilde Exotik sucht, wird allerdings enttäuscht werden, denn wie das Straßenbild Bakus gleicht sich auch der Blick der Künstler aus Aserbaidschan zunehmend der europäischen Perspektive an.

„Fly to Baku“, me Collectors Room, Auguststr. 68; bis 17. November, Di–So 12–18 Uhr. Ticket: 6 Euro.

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