zum Hauptinhalt

Ausstellung: Preußinnen ohne Fehl und Tadel: Das Kreuzfeuer der Blicke

Könige, Generäle, Politiker und Industrielle beherrschen unser Preußenbild, doch es gibt auch einen Gegenpol. Schön und schrill: "Preußens Eros – Preußens Musen" im Haus für Brandenburgisch-Preußische Geschichte Potsdam.

Die ungeliebte Königin und die treue Mätresse: Beide Rivalinnen um die Gunst Friedrich Wilhelms II. hat der Maler Anton Graff porträtiert. Aber sieht so eine Königin aus? Die Gattin des „dicken Wilhelm“ muss eine beachtliche Körperfülle besessen haben. Ihr königliches Doppelkinn ist trotz der behutsamen Verschönerungsmaßnahmen des Malers nicht zu übersehen. Ein durchsichtiges Tuch über Schultern und Dekolleté lässt den gewaltigen Landesmutterbusen erahnen. Ergraute Locken rahmen das freundliche Gesicht. Entstanden ist das raffiniert- schlichte Porträt um das Jahr 1789. Während in Frankreich die Köpfe des Hochadels rollten, gab sich das preußische Königshaus schon mal bürgerlich.

Die große Liebe des Königs, die Musikertochter Wilhelmine Encke, malte Graff im schwarzen Trauerkleid, kurz nach dem Tod des gemeinsamen Sohnes Alexander von der Mark. Gefasst schaut sie aus dem Gemälde, die Erschütterung hat ihr weiches Gesicht durchsichtig gemacht. Das Bild lässt sich als Aufforderung der Mätresse an den wankelmütigen König lesen, sie jetzt erst recht nicht im Stich zu lassen.

Im königlichen Kutschstall am Potsdamer Neuen Markt hängen die beiden Frauenporträts genau gegenüber. Als Betrachter fühlt man immer den Blick einer der beiden Rivalinnen im Rücken. Von der Seite beobachten lebenskluge Augen die Szene: Elisabeth Makaria Nicolai, die Frau des Aufklärers Friedrich Nicolai, auch sie von Graff gemalt. In dieser Konstellation fällt ihr die Rolle der Vernunftgöttin Palles Athene zu, während die preußische Königin Herrscherin Hera vertritt und Wilhelmine Encke die Liebesgöttin Aphrodite. Der Besucher der Ausstellung „Preußens Eros – Preußens Musen“ fühlt sich wie Paris, der die Schönste wählen soll.

Rund 50 Preußinnen ohne Fehl und Tadel richten ihre Augen auf den Besucher: von Kurfürstin Sophie Charlotte bis zur letzten Kronprinzessin Cäcilie, von der Salondame Henriette Herz bis zur Dichtergattin Margarete Hauptmann, von Käthe Kollwitz bis Marlene Dietrich. Statt eines Parisapfels bekommt jeder Besucher ein Heftchen mit Erläuterungen zu den Dargestellten und ihren Bildern in die Hand. Keine Texte an den farbenfrohen Ausstellungswänden sollen das Kaleidoskop der Frauenbilder stören.

Ganz ohne Erklärungen geht es nicht, weil die vermeintliche Unmittelbarkeit der Blicke leicht in die Irre führt. Die alte Frau mit dem unkleidsamen Monokel könnte eine beliebige Bürgerwitwe aus dem 18. Jahrhundert sein, doch welcher preußische Ehemann hätte so ein Bild in Auftrag gegeben? Derart nüchtern konnte sich nur die Malerin Anna Dorothea Therbusch selber ins Auge fassen und durch das Augenglas den Verlust ihrer Sehkraft zum Thema machen. Man muss um die unglückliche Ehe des wohltätigen Bankiers Valentin Weisbach wissen, um die verführerische Rückenansicht seiner nervenkranken Frau Hedwig richtig einzuordnen, nämlich als erotisches Phantasma eines frustrierten Ehemannes. Die alleinstehende Reiseschriftstellerin Marie von Bunsen gab 1897 im Alter von 37 Jahren ihr Porträt selbst in Auftrag, sie demonstrierte damit selbstbewusst ihre Unabhängigkeit, auch durch die Wahl der Malerin Anna Jaeger, die sie im „Verein Berliner Künstlerinnen“ kennengelernt hatte.

Die Frauenemanzipation eröffnet im 20. Jahrhundert ein weites Spektrum von neuen Rollenbildern. Es reicht von der Freizügigkeit, mit der Charlotte Berend in einem Zyklus von Lithografien den nackten Unterleib der Tänzerin Anita Berber ausstellte, bis zur neusachlichen Strenge in Werner Fechners Porträt der 17-jährigen Schauspielaspirantin Marianne Hoppe mit Pelzkragen. Eine Entdeckung sind die Rollenspiele der Fotografin Marta Astfalck-Vietz vor der Kamera. Sie erinnern an die Verwandlungskünste einer Cindy Sherman, doch die lange vergessenen Fotos entstanden schon vor 1933. Mit der Stilisierung der Fliegerin Elly Beinhorn zur wettergegerbten Ikone endet die Galerie der schönen und schrillen Preußinnen. Nicht ganz zwingend, denn Preußen wurde bekanntlich erst nach der Nazizeit aufgelöst, in der wieder reaktionäre Frauenbilder propagiert wurden.

Könige, Generäle, Politiker und Industrielle beherrschen unser Preußenbild. Die Ausstellung ist eine stumme Gegendemonstration, animiert durch das feministische Jahresmotto des Kulturlandes Brandenburg: „Mut und Anmut“. Der exzellente Katalog durchleuchtet die Konstruktion jedes Frauenbildes und erhellt, wie tief die männliche Dominanz reicht. Aufklärung muss sein, auch wenn ihre Wirkung begrenzt ist. In zwei Jahren feiern Berlin und Potsdam den 300. Geburtstag Friedrichs des Großen, dann dürfte von den Frauen in Preußen kaum noch die Rede sein. Michael Bienert

Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, Potsdam, Am Neuen Markt 9, bis 2.1.2011, Di-Fr 10-17, Sa/So 10-18 Uhr, Katalog 24,90 €

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false