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Ausstellung: Reformatoren lächeln nicht

Holbein, Dürer & Co.: Die Berliner Renaissance-Ausstellung bekommt in München Konkurrenz.

Runzeln, Augenringe, Silberblick. Mit grausamer Lust an Unvollkommenheit und Verfall malen die deutschen Künstler im 16. Jahrhundert das menschliche Gesicht. Die umwerfende Ausstellung „Dürer-Cranach-Holbein. Die Entdeckung des Menschen“ in der Münchner Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung erzählt die Fortsetzung zu den Berliner „Gesichtern der Renaissance“. Und sie ermöglicht weitaus schneller Zugang zu den großartigen Werken als die Schau im Berliner Bode-Museum. 170 Beispiele für das deutsche Porträt um 1500 sind versammelt, zusammen ergeben sie das Bild einer Gesellschaft, sie sich gerade neu formiert. Zu sehen ist, wie sich der Schraubgriff der Kirche lockert und die Kunst das Korsett der Spätgotik abwirft.

Die Ausstellung, die gemeinsam mit dem Kunsthistorischen Museum Wien entstand, packt ihr Thema überzeugend stringent an. Während sich das Porträt an den italienischen Fürstenhöfen längst durchgesetzt hat, wie die „Gesichter der Renaissance“ gerade anschaulich vorführen, erscheinen nördlich der Alpen Menschen mit individuellen Gesichtszügen allenfalls als Stifter in der Kirche.

Das ändert sich erst mit Jan van Eyck, der in den Niederlanden die Malerei revolutionierte und die akribische Wiedergabe sinnlicher Eindrücke ermöglichte. Für seine Feinmalerei verwendete er neben den traditionellen Tempera- und wässrigen Leimfarbensystemen auch häufig Ölfarben. Auf diese Weise machte er die Schattierungen der Haut, die Haptik der Stoffe erfahrbar.

Die zweite große Veränderung für die Malerei nördlich der Alpen brachte Albrecht Dürers Italienreise. Dort sieht er die Bilder von Leonardo da Vinci, Andrea Mantegna oder Giovanni Bellini, wie sie gerade im Bode-Museum hängen. Der deutsche Maler lernt italienische Lässigkeit kennen und kehrt mit unerhörtem Selbstbewusstsein heim. „Hier bin ich Herr, daheim ein Schmarotzer“ schreibt er aus Italien.

Zurück in Nürnberg beginnt Dürer mit der Arbeit am Porträt seines Vaters. Der Münchner Kurator Christof Metzger hält die Leihgabe aus der Londoner National Gallery wegen der künstlerischen Souveränität für das Original von 1497, eine Zuschreibung, die umstritten bleibt, weil der Hintergrund nicht erhalten ist. Das Bild ist Rückblick und Vision. Mit mildem Stolz schaut der Vater dem malenden Sohn zu. Dürer hatte als Fünfzehnjähriger seine Ausbildung als Goldschmied in der väterlichen Werkstatt abgebrochen. Jetzt, mit 26 Jahren, tritt er dem Vater auf Augenhöhe gegenüber. Schonungslos studiert er die Schatten und Falten und erkundet im Gesicht des Siebzigjährigen seine eigenen Wurzeln und seine eigene Zukunft. In den süddeutschen Handelszentren Augsburg, Nürnberg, München oder Ulm erfreut sich die Gattung Porträt zunehmender Beliebtheit, denn die neuen Aufsteiger, die Bankiers, wohlhabenden Kaufleute und erfolgreichen Handwerker, demonstrieren damit ihren gesellschaftlichen Status. Das Bildnis richtet sich an die Nachgeborenen, es soll, so formuliert es Dürer damals, „dy gestalt der Menschen noch jrem absterben“ bewahren.

Zu Lebzeiten aber sind die feinen Unterschiede wichtig. Strikte Kleiderordnungen regeln den gesellschaftlichen Auftritt. Anders als in Italien, wo die Frauen ihr Haar kompliziert offen tragen, verhüllen sie sich nördlich der Alpen noch mit Haube und Kinnband. Auch wird die Ehefrau in die Ferne gerückt, damit sie kleiner aussieht als ihr Mann. Rot und blau sind die Farben der Macht, schwarz die Kleidung der Gelehrten und Humanisten.

Mit der Reformation gehen die kirchlichen Aufträge zurück, das Porträt entwickelt sich zur wichtigen Einnahmequelle für die Maler. Lucas Cranach d. Ä., Hofmaler der sächsischen Kurfürsten in Wittenberg, entwickelt eine fast serielle Produktion. Mit der Vervielfältigung macht Cranach auch das Gesicht seines Freundes Martin Luther publik. Auffällig bei dem Schnellverfahren ist allerdings: Ob sächsische Prinzen oder Wittenberger Reformator – alle tragen den gleichen verdrießlichen Zug um den Mund.

Hans Holbein d. J. verzichtet als Maler am englischen Hof auf den sezierenden Blick. Jane Seymour tritt als Individuum hinter ihre Rolle als Königin zurück. Doch in München ist auch Holbeins prächtiger Charles de Solier, Sieur de Morette von 1534/35, aus den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zu sehen. Zwar legt der französische Diplomat sichtlich Wert auf kostbarste Eleganz, aber Holbein lenkt die Aufmerksamkeit vorbei an Pelz, Samt und Gold auf das Gesicht eines beherrschten Vermittlers.

Wie wahrhaftig diese Bildnisse sind, lässt sich nicht überprüfen. Erasmus von Rotterdam hat jede Ähnlichkeit mit einem Dürer-Stich abgestritten. Im Porträt begegnen die Dargestellten erstmals der Wahrnehmung anderer. Selbstinszenierung und fremde Sicht überlagern sich.

Einige der großartigsten Werke in dieser überreichen Ausstellung stammen von dem Augsburger Maler Hans Burgkmair d. Ä. Sein Bild von Sebastian Brant, dem Verfasser der schneidenden Satire „Das Narrenschiff“, erscheint weit heutiger, als das Entstehungsdatum 1508 vermuten lässt. Das kühne Profil mit dem sensiblen Mund und den skeptischen Augen verrät den politischen Kopf. Auch über den zeitlichen Abstand von einem halben Jahrtausend entfaltet die Nähe von Vernunft und Ironie beruhigende Wirkung. Angesichts der Inflation des Ich im Internet erweist sich die frisch entdeckte Singularität des Menschen als etwas höchst Kostbares.

Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München, bis 15. Januar.

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