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Prince im Jahr 1985.

© Michael Ochs Archive/Corbis

Ausstellung: Rock-Fotografien in Essen

Wie Stars gemacht werden: Das Essener Folkwang Museum präsentiert die bislang größte deutsche Ausstellung von Rock-Fotografien. Über neunzig Künstler sind vertreten.

Männerschweiß, der auf Gitarrensaiten tropft. Haare, die geschüttelt werden müssen. Körper, die sich zu einem tausendarmigen, im gleichen Rhythmus applaudierenden, winkenden, atmenden Riesentier vereinigen. Bäder in Schlamm und Euphorie. Aus unserer durchrationalisierten Gegenwart ist der öffentlich zur Schau getragene Gefühlsüberschuss weitgehend verschwunden, aber hier ist es noch zu haben, das barock anmutende Sekundentheater aus Gesten und Blicken: in den Kellerverliesen und Großraumarenen des Rock’n’ Roll. Bei einem Konzert, egal ob im Club oder im Stadion, kann jedes Riff neue Energien freisetzen und neue Bilder produzieren. Rockfotografen müssen daher, ähnlich wie Sport- oder Kriegsfotografen, Verbündete des Augenblicks sein.

„Du brauchst nicht über das Licht nachzudenken, denn es ist schon da“, sagt der amerikanische Fotograf Kevin Westenberg, der seit zwanzig Jahren mit Pop-Größen wie U2, Coldplay und Marilyn Manson arbeitet. „Man muss nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein.“ Westenberg ist einer von rund neunzig Künstlern, deren Arbeiten jetzt im Essener Folkwang Museum das Wechselverhältnis von „Fotografie und Rock seit Elvis“ dokumentieren, eine der spannungsvollsten Beziehungskisten der letzten sechzig Jahre.

Aufgeboten werden in dieser bislang größten Ausstellung ihrer Art in Deutschland, finanziert mit Mitteln aus dem Europäischen Kulturhauptstadt-Fonds Ruhr 2010, mehr als 300 Exponate, nicht nur Bilder, sondern auch Videos, Fan-Devotionalien und ganze Kioske mit Musikmagazinen vom englischen „NME“ bis zur Kölner „Spex“. Die meisten Leihgaben stammen von den Urhebern selbst, darunter Kamera-Stars wie Annie Leibovitz, Mick Rock, Mark Seliger oder Jim Rakete. Erzählt werden soll nicht die Entwicklungsgeschichte des Rock’n’Roll, sondern die Geschichte seiner visuellen Indienstnahme und Mystifizierung. Wie aus ein paar zornigen, sehr lauten jungen Leuten mit Hilfe von Silbernitrat-Filmen und Massenmedien überlebensgroße Idole werden konnten. Folgerichtig lautet der Ausstellungstitel: „A Star Is Born.“

Die Dramaturgie der Ausstellung folgt einer Kreisbewegung: vom Underground in den Mainstream, aus den Rändern ins Zentrum, vom Kleinen zum Großen und wieder zurück. Was sogar wortwörtlich zu verstehen ist. Die ersten Aufnahmen sind teilweise nur postkartengroß, sie stammen von oft anonymen Presse- und Porträtfotografen, die sich bei der Image-Produktion unbeholfen an Hollywood-Vorbildern orientieren. Jerry Lee Lewis, der am Klavier den sein Instrument auch schon mal abfackelnden „Killer“ gibt, posiert 1957/58 brav mit perfekt ausgeleuchteter Tolle auf einer Fankarte. Chuck Berry, mit „Roll Over Beethoven“ Umstürzler von Lehrplänen, gibt bei einer „After School-Session“ im Plattenladen dauerlächelnd als einziger Schwarzer weißen Mittelschichtskindern Autogramme.

Später, in der klassischen Rock-Ära der siebziger und achtziger Jahre, werden nicht nur die Konzerthallen immer größer, auch die Bildformate blähen sich auf. Die Nahaufnahmen, die der Schweizer Fotograf Hannes Schmid 1979/80 bei einer Tournee vom AC/DC-Gitarristen Angus Young gemacht hat, einem halbnackten, seine Metal-Akkorde geradezu ausschwitzenden Bühnentier, sind in Essen als Pigmentdrucke im Goliathformat von 100 mal 150 Zentimetern zu sehen. Dabei handelt es sich allerdings um neuere Abzüge, die noch für einen anderen Trend stehen: den zur Selbstmusealisierung des Rock’n’Roll und der daran angeschlossenen Künste. Die Fotografen, gebeutelt von den ökonomischen Krisen von Musikindustrie und Medien, drängen nun an die Wände von Galerien und Sammlern.

Nachgeborenen Fans kann bei diesem Parcours durch die Heroenhistorie des Rock’n’Roll das Gefühl beschleichen, immer schon zu spät dran gewesen zu sein. Die magischen Momente, als die Rolling Stones im Marquee Club rockten, Jimi Hendrix in Woodstock seine Gitarre mit der Zunge spielte oder Sid Vicious sich bei einer USA-Tournee den Oberkörper blutig ritzte, sind unwiderruflich dahin. Wohl deshalb ist derzeit im Pop die Sehnsucht nach dem „Authentischen“ so groß, als jedes „Love Me Do“ noch so gemeint war, wie es gesungen wurde.

Die Stunden, in denen der Rock’n’Roll seine Unschuld noch nicht verloren hatte, gab es wahrscheinlich nie. Wenn doch, müssen sie so ausgesehen haben, wie Alfred Wertheimer sie festhielt. Der inzwischen 80-jährige US-Fotoreporter mit fränkischen Wurzeln begleitete 1955/56 einen jungen Sänger aus Tennessee, der gerade erst einen Plattenvertrag mit dem Großlabel RCA unterzeichnet hatte. Elvis war noch nicht der „King“, sondern ein schüchternes Mamakind, das Journalisten ehrerbietig mit „Sir“ anredete. Wertheimer zeigt Augenblicke höchster Intimität: Elvis döst auf dem Sofa, tauscht Zungenküsse, hört Demoaufnahmen im Zugabteil. Am Ende verlässt er, überstrahlt von einer Sonnen-Aureole wie ein Heiliger, einen Bahnhof, der Weltkarriere entgegen. Nie wieder würde ein Fotograf so direkten Zugang zum Star bekommen.

Wertheimers körnige Schwarzweißaufnahmen gehören zur Fotosammlung des Essener Hauses und in den fließenden Raumfolgen des Museumsneubaus von David Chipperfield werden sie zum heimlichen Dreh- und Angelpunkt des Ausstellungskonzepts. Auf ihre ungekünstelte Direktheit beziehen sich immer wieder Fotografen, etwa David Belisle, der 2005 für sein Tourneetagebuch mit R.E.M. in den Privatjet von Michael Stipe steigen darf und auch die verlaufene Bühnenschminke auf den Füßen des Sängers abbildet.

Die Geschichte des Rock’n’Roll ist die Geschichte einer Domestizierung und der Befreiung daraus. Prototypisch dafür ist den Beatles ein Saal gewidmet, der ihre Genese von Reeperbahnrockern zu Edelhippies zeigt. Manager Brian Epstein steckt die Fab Four in Banduniformen, aber schon, als sie 1965 bei einer USA-Tour die Pulks von Fotografen und Kameraleuten mit Gaga-Gesten dirigieren, werden sie von Objekten zu Subjekten ihrer Inszenierung. Die Ausstellung führt an „Soundduschen“ mit Endloshits, TV-Monitoren mit Adornos Kulturkritik (alles „schnulzenhaft“) und den neobarocken Bilderwelten von Prince-Videos zurück zu einem Neuanfang im Kleinformat. Auf einem Computer können die Youtube-Filmchen der im Internet berühmt gewordenen Arctic Monkeys angeklickt werden.

Folkwang Museum Essen, bis 10. Oktober. Der Katalog (335 S., Steidl Verlag) kostet im Museum 30, im Buchhandel 50 €.

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