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Ausstellung: Sandro und die Detektive

Original, Kopie, Fälschung: Die Ausstellung „Close Examination“ in der Londoner National Gallery

Das muss sich ein Museum erst mal trauen: seine Fehlkäufe öffentlich eingestehen und für Millionen erworbene Fälschungen sowie später entlarvte Kopien in einer Ausstellung präsentieren. Die National Gallery in London tut genau das und zeigt nicht nur ein einzelnes Bild in einer Studioausstellung, wie es nach langwierigen Restaurierungen in großen Häusern international üblich ist. Nein, die Londoner zeigen gleich 40 Werke in einer großen Schau, eine wahre Berg- und Talfahrt durch die Geschichte der Sammlung. Bei all diesen Bildern war die Autorschaft des jeweiligen Malers mal zu-, mal aberkannt worden. Botticelli, Rembrandt, Velázquez – das war einmal.

Der Verlust eines prominenten Namens kann dramatische Folgen haben, etwa für den Direktor Charles Lock Eastlake, der 1845 einen vermeintlichen Hans Holbein erwarb, weil die National Gallery dringend einen Holbein besitzen wollte. Aber bald stellte sich heraus, dass das Dreiviertelporträt des Mannes mit Totenkopf keineswegs ein Bild jenes bedeutenden Künstlers war, mit dem in Großbritannien die Tradition der Porträtmalerei einsetzt. Sir Charles musste zwei Jahre nach seinem voreiligen Ankauf schmachvoll das Haus verlassen. Jüngste Untersuchungen nach der Baumringzählmethode ergaben nun, dass das Bild 20 Jahre nach Holbeins Tod 1543 entstand; vermutlich stammt es von dem flämischen Maler Michiel Coxcie.

Anders als sein Vorgänger vor 150 Jahren muss der heutige Museumsdirektor, Nicholas Penny, die Wissenschaft nicht fürchten. Im Gegenteil: Er fühlt sich durch sie bestätigt. Denn ihm gelang ein wahrer Glücksgriff, als er noch Kurator für Renaissance-Malerei am Hause war. Trotz der Zweifel von Raffael-Kennern erwarb er eine „Nelken-Madonna“, die bislang als Kopie galt. Am Ende beförderten Infrarot-Untersuchungen jedoch Unterzeichnungen zutage, wie sie für Raffael typisch sind. Außerdem wurden Änderungen sichtbar, wie etwa ein Farbwechsel von Blau zu Grün beim Vorhang, der die Madonna mit dem Kind hinterfängt. Ein Kopist hätte kaum mitten im Entstehungsprozess die Farben ausgetauscht. Solche Freiheit nimmt sich nur der Schöpfer eines Bildes, nicht sein Nachahmer.

Die Ausstellung „Kunst unter der Lupe: Fälschungen, Fehler & Fundstücke“ gleicht einem Krimi, mehr noch einer Variante der Fernsehserie „CSI“. Denn auch hier werden die Täter mithilfe moderner Technologie überführt: mit Infrarot- und Röntgenaufnahmen, Elektronenmikroskopie, Massenspektrometrie. Wobei manchmal auch nur die Verklemmtheit des 19. Jahrhunderts zutage tritt. So wandelte sich die offenherzige Blondine eines unbekannten norditalienischen Malers aus dem frühe 14. Jahrhundert, die im Original kokett aus dem Fenster schaut, in ein keusches brünettes Fräulein mit weniger gewagtem Ausschnitt, das den Betrachter anschaut. Auch Geschmack ist eine Frage des Zeitalters.

Modifikationen wie diese sollten auch beim Verkauf förderlich sein. So erhielt etwa das Porträt von Alexander Mornauer, der Ende des 15. Jahrhunderts Stadtdirektor von Landshut war, einen Cranach-Touch, indem der Hintergrund im typischen Hellblau des Malers eingefärbt wurde. Seinen Hut flachten die Fälscher kurzerhand ab, um ihn Martin Luther ähnlich sehen zu lassen. Das prominente Motiv und der bekannte Künstler erzielten schließlich einen weitaus besseren Preis als das von einem unbekannten Meister gemalte Bild eines höheren Beamten aus Süddeutschland. Die chemische Analyse weist heute präzise nach, wann welche Farbschicht aufgetragen wurde: Die Nachfolgemaler gingen im 18. Jahrhundert zu Werk – das verwendete Preußischblau gab es erst ab 1720 im Handel.

Auch der Spürsinn des Betrachters wird angespornt. Da hängen zum Beispiel zwei „Botticellis“ nebeneinander: Das eine Bild ist ein Original, das andere stammt von einem Nachfolger. Nur für diese Ausstellung wurden die ungleichen Schwestern noch einmal vereint: das berühmte Londoner Botticelli-Bild von Venus und dem schlafenden Mars, dem kleine Satyrn die Waffen stehlen, und eine zweite, blond gelockte Göttin mit drei Putten, die seit Jahren in die hinteren Räume der National Gallery verbannt ist.

Für den heutigen Betrachter ist es kaum nachvollziehbar, wie in dem wesentlich schlechter gemalten zweiten Bild je ein Werk Sandro Botticellis vermutet werden konnte. Das Gesicht der Venus wirkt flach, die Haare sind schematisch in Locken gelegt, die Putti erscheinen ungelenk. Doch als die beiden Bilder 1874 versteigert werden sollten, mahnte sogar der Premierminister Disraeli, dass solche nationalen Schätze das Land keinesfalls verlassen dürften. Für den Botticelli-Nachfolger zahlte die Nationalgalerie eine erkleckliche Summe. Verständlich wird dieser Fehlgriff höchstens dann, wenn man berücksichtigt, dass zu Beginn des Botticelli-Booms Mitte des 19. Jahrhunderts nur wenige seiner Bilder allgemein bekannt waren. Die Verbreitung in Bildbänden, Postkarten, die Möglichkeit des Herunterladens durch Google – diese Popularisierung der Kunst ist ein Phänomen des 20. und 21. Jahrhunderts. Damals war es schwerer, Werke miteinander zu vergleichen.

Der National Gallery dürfte mit „Close Examination“ ein großer Erfolg beschieden sein. Nicht nur, weil das Museum am Trafalgar Square keinen Eintritt verlangt und die Londoner – anders als die Berliner bei ihrer Gemäldegalerie mit einer mindestens ebenso bedeutenden Sammlung – die Institution als ihr Haus und wahrhaft öffentlichen Besitz betrachten: Der letzte Versuch unter Margaret Thatcher, Eintritt zu verlangen, scheiterte kläglich. Die Ausstellung hat auch deshalb das Zeug zum Publikumsrenner, weil Kunstgeschichte hier mit anderen Mitteln erzählt wird. 2009 demonstrierte bereits die Albertina in Wien mit ihrer großen Impressionismus-Ausstellung, in der künstlerische Techniken erläutert wurden, von welch großem Interesse wissenschaftliche Untersuchungen sein können. Man braucht sie nur populär aufzubereiten. Knapp 440 000 Menschen besuchten die Ausstellung und begeisterten sich nicht nur für Renoir, Pissaro und Monet, sondern auch für Pigmentdiagramme, Großaufnahmen von Farbschichten oder für Röntgenbilder der Leinwände.

Während die Wiener Ausstellung mit Leihgaben aus aller Welt prunkte, halten sich die Londoner damit deutlich zurück. Kein Wunder, wer mag schon gern andernorts entlarvt werden. So hängt der Caspar David Friedrich aus dem Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte nur als Reproduktion neben dem Londoner Original. Das Scientific Department der National Gallery hatte herausgefunden, dass die eigene Version einer winterlichen Landschaft, die 1982 in einer Pariser Privatsammlung auftauchte und erworben wurde, früher entstanden sein muss. Das andere Bild, das sich seit 1940 in Dortmund befindet, ist wesentlich schneller und ohne Unterzeichnungen gemalt.

Eins zu null für London. Die Winterlandschaft aus dem Museum für Kunst und Kulturgeschichte kann demnach nur eine Replik sein, entweder von Caspar David Friedrich selbst oder von einem seiner Schüler oder Nachahmer. Da bleiben die britischen Forscher höflich vage. Schließlich bleibt es jedem Haus selbst überlassen, bittere Erkenntnisse in eigener Sache an die Öffentlichkeit zu bringen.

National Gallery, London, bis 12. September; Katalog 6,99 GBP

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