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"Eine kleine Nachtmusik" von Dorothea Tanning, entstanden 1947.

© Tate, London 2017 The Estate of Dorothea Tanning / ADAGP, Paris/ VEGAP, Málaga, 2017

Ausstellung surrealistischer Künstlerinnen: Die Freiheit sich preiszugeben

Von Frida Kahlo bis Meret Oppenheim: Das Museo Picasso in Malaga zeigt Werke von surrealistischen Künstlerinnen. Eine opulente und facettenreiche Ausstellung mit überraschenden Entdeckungen.

Der Ausstellungstitel "We are completely free" formuliert eher einen Wunsch, als eine Tatsache. Einige der achtzehn surrealistischen Künstlerinnen, deren Werke in Malaga zu einer opulenten und facettenreichen Gruppenshow vereinigt sind, waren durch gesellschaftliche Konventionen und die Wahl ihrer Lebensgefährten durchaus eingeschränkt. Bestes Beispiel ist Dora Maar, eine begabte Fotografin, von der Fotocollagen in der Ausstellung zu sehen sind, etwa "Le pisseur où Vieille femme et enfant", eine erotische Phantasie, die den patriarchalisch denkenden männlichen Surrealisten kaum in den Sinn gekommen wäre. Dass jene Dora Maar, die als politisch denkende Künstlerin die Entstehung von Picassos Antikriegsbild "Guernica" eindrucksvoll dokumentiert hat, nun zusammen mit einigen ihrer Geschlechtsgenossinnen im Picasso-Museum geehrt wird, scheint höchste Zeit: Ihre Beziehung zu dem Maler war das Ende ihrer Karriere als selbstbewusste Fotokünstlerin, einsortiert wurde sie fortan als seine unglückliche Muse.

Ausbruch aus dem Patriarchat. Die Fotografin Dor Maar suchte künstlerisch neue Wege.
Ausbruch aus dem Patriarchat. Die Fotografin Dor Maar suchte künstlerisch neue Wege.

© RMN-Grand Palais (musée Picasso de Paris) / Michèle Bellot Manuel Bidermanas

Auch die begabte Autodidaktin Dorothea Tanning galt dreißig Jahre lang vor allem als Ehefrau von Max Ernst, in ihrer Biographie zitiert sie etwas entnervt die klassische Reaktion anderer auf ihr Werk: "Stellen Sie sich vor, sie malt auch!" In Malaga ist neben bedeutenden Gemälden wie "Eine kleine Nachtmusik" von 1943, das ein schlafwandlerisches Zusammentreffen zweier Frauen und einer Sonnenblume in einem Hotelflur zeigt, auch ihre beeindruckende Stoffskulptur "Nu couchée" aus dem Jahr 1970 sehen. Der Torso mit prägnanter Wirbelsäule, für die Tanning Tischtennisbälle unter der rosafabenen Stoffhülle verteilt hat, verliert seine erotische Wirkung auch nicht durch die drei verschlungenen Extremitäten, die dem Oberkörper entspringen. Dieser fragmentierte und zugleich monumentale Körper erinnert an Skulpturen von Louise Bourgeois, die in Malaga 2015, ein Jahr nach Hilma af Klint, einer bedeutenden und lange unterschätzten Wegbereiterin der Abstraktion, einen großen Auftritt hatte.

Die Präsentation der surrealistischen Künstlerinnen ist mäandernd und assoziativ. Zu fünf Themen - Spiegel und Maske, Andere Welten, Träume, Eros, und Ich ist ein anderer - werden mehr als 120 Arbeiten der Künstlerinnen, die frühesten stammen aus den 20er Jahren, anregend kombiniert. Darunter sind legendäre Exponate wie Meret Oppenheims Tisch mit Vogelfüßen und ihre von Adern überzogenen Handschuhe, oder die radikalen androgynen Selbstportraits der Fotografin Claude Cahun. Auch die Bandbreite der Medien ist erfreulicherweise so groß, dass zwei Filme von Germaine Dulac gezeigt werden. Neben dem sozialkritischen Mini-Drama über den Absturz einer jungen Frau gibt es "Die Muschel und der Kleriker" zu sehen, einen Film, in dem unter anderem ein Geistlicher auf allen vieren über den Boden kriecht, und der 1928, vor Luis Bunuels "Un chien andalou", als erster surrealistischer Film nach einem Drehbuch von Antonin Artaud gedreht wurde. Hat Dulac mittlerweile als Avantgarde-Filmemacherin zumindest in Fachkreisen das angemessene Renommé, so gibt es in der Ausstellung, die leider nur in Malaga zu sehen sein wird, weitere überraschende Entdeckungen.

Blick in den Ausstellungsraum.
Blick in den Ausstellungsraum.

© Museo Picasso

Zu ihnen gehört die tschechische Surrealistin Marie ?ermínová, die unter dem absichtsvoll geschlechtsneutral klingenden Pseudonym "Toyen" bekannt wurde. Sie ist eine der eigenwilligsten Figuren der europäischen Avantgardemalerei. Gemälde wie "Les coffres" von 1947, wo aus Schließfächern Blut tropft und giftig grüne Schlangen entkommen, die den Boden bedecken, oder der acht Jahre später entstandene Alptraum einer nicht endenden Raumabfolge, auf die eine zarte Hand vom Bildrand aus hinweist, sind deutlich gestischer als die minutiös gepinselten Verismen vieler männlicher Surrealistenkollegen. Auch von der spanischstämmigen Surrealistin Remedios Varo, die eigentlich für ihre altmeisterliche Technik und feine Pinselführung bekannt ist, gibt es ein überraschend futuristisch wirkendes Gemälde von 1936 und eine hinreißende Zeichnung, in der sich zwei skurrile Formen schwebend vereinigen.

Von Frida Kahlo, der vermutlich bekanntesten Künstlerin dieser Gruppenausstellung, sind zwei kleinformatige Blätter zu sehen. Ihre Radierung "Frida und die Abtreibung" drückt, bei aller phantastischen Verfremdung, den realen Schmerz und die Trauer unmittelbar aus. Die Freiheit, sich selbst vollkommen preiszugeben, hat Kahlo vielleicht am stärksten genutzt. Dafür ist ihr Name, obwohl sie sich auf dem gleichen Terrain behauptete wie ihr Ehemann, genauso bekannt wie seiner.

Malaga, Museo Picasso, bis 28.1.

Kerstin Stremmel

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