zum Hauptinhalt

Ausstellung: Thomas Schütte: Zwerge, riesengroß

Gebäude en miniature, aus Holz, Pappe oder Styropor: Die Bonner Bundeskunsthalle feiert den Bildhauer Thomas Schütte.

Ein Paradies für Modernisten hat Thomas Schütte eingerichtet. Sein luftiger Pavillon mit Wänden aus Stoff, einem großzügigen Grundriss und spartanischer Möblierung erinnert an die Villen von Ludwig Mies van der Rohe. Doch Schütte denkt nicht an Avantgardeheime für Fabrikanten. Seine begehbare Arbeit ist ein „Ferienhaus für Terroristen“ (2009).

So ein Titel wirkt provozierend. Weckt absurde, komische Vorstellungen von satten, domestizierten Verbrechern in Liegestühlen. Noch mehr aber signalisiert er einen unauflöslichen Widerspruch: zwischen der Transparenz des Hauses und den undurchsichtigen Plänen seiner Bewohner. Das wird nie zusammenfinden. Dafür nisten im Zwischenraum der auseinanderstrebenden Begriffe reichlich Gedanken. Über die Wirkung der Architektur auf den Menschen, ihren Einfluss auf die ästhetische Wahrnehmung. Und man fragt sich: Wer formt hier eigentlich wen?

Die Frage steht im Zentrum einer aufwändigen Bonner Retrospektive. Knapp 60 Werke von Thomas Schütte aus den vergangenen drei Jahrzehnten, vor allem seine Architekturmodelle, füllen die Kunst- und Ausstellungshalle des Bundes. Das gesamte Formenrepertoire der Architektur scheint in Bonn dekliniert. Es gibt Säulen und Wände, Kammern und Hallen. Endlose Treppen führen in dunkle Untergeschosse, durch Fensteröffnungen blickt man auf nackte Terrassen. Fast alle Gebäude sind en miniature aus Pappe, Styropor oder Holz gebaut. Bloß das „Ferienhaus für Terroristen I“ und das „One Man House I“ besitzen Menschengröße und laden zum (streng vom Personal beäugten) Aufenthalt. Dass Schütte die Auswahl dennoch „Big Buildings – Modelle und Ansichten“ nennt, kündet vom Exemplarischen seiner Konstruktionen.

Ähnlich hoch ist der Anspruch der Ausstellung selbst. Sie verzichtet auf Schüttes große Knetfiguren namens „Geister“ und damit auf jene Arbeiten, die smart und leicht zugänglich sind. Stattdessen hängen Engel aus geschnittenem Aluminium von der Decke. Jeder von ihnen drei Meter lang und so spröde im Auftritt, dass alle religiös gefärbten Gefühle sofort ersterben. Auch die detailarmen Architekturmodelle sind keine häusliche Zuflucht. Schütte demonstriert typologisch, wie man Raum umschließen, Räume schaffen und definieren kann. Gern auch mit Sperrholz oder lackiertem Umzugskarton. Das reale Bauen überlässt er anderen, ihn interessiert das Mögliche.

Drei Teilnahmen an der Documenta in Kassel, einen Goldenen Löwen auf der Biennale von Venedig 2005 und aktuell den Düsseldorfer Kunstpreis hat sich der Künstler damit verdient. Schütte, der bis 1981 an der Kunstakademie der Landeshauptstadt bei Fritz Schwegler und Gerhard Richter studierte, ist längst etabliert. Sein Name aber sagt der breiten Öffentlichkeit noch immer wenig. Als „maßgeblichen deutschen Künstler“ reiht ihn Robert Fleck, Intendant der Bundeskunsthalle, dennoch in die großen monografischen Ausstellungen des Hauses ein, mit denen schon Georg Baselitz oder Richter gewürdigt wurden. Schütte fügt sich mühelos in diesen Kanon. Nicht nur, weil seine architektonischen Modelle ebenso wie die kleinen Aquarelle mit Blumensujets dem Auge viel bieten. Singulär ist vor allem die Beharrlichkeit, mit der Schütte an der Baukunst als Thema der Bildhauerei festgehalten hat – selbst in Zeiten, in denen Architektur der Kunst als reines Handwerk galt.

Dabei bleibt das Werk stets skulptural. Gleich am Eingang verortet sich der Künstler mit einem Modell vom „Mann im Matsch“, dessen meterhohes Original aus Bronze vor der Landessparkasse Oldenburg steht. Eine verlorene Gestalt mit Wünschelrute. Knietief im Morast und dennoch bereit, sich jederzeit aus dem Schlamassel zu ziehen. Wenn man ihr denn einen Grund dafür gibt. Bis dahin verharrt die Figur still, in sich versunken.

Solchen Aggregaten begegnet man überall in der Ausstellung. Schüttes Kunst liefert gefrorene Energie, die auf Freisetzung wartet. Auf zündende Impulse, die der Besucher liefert. Indem er sich die tischgroßen Architektur-Modelle raumhoch vorstellt. Oder sich wie ein Zwerg fühlt, um die seltsam leeren Zimmer und Plätze der Miniaturen gedanklich zu durchqueren. Wer auf der Plattform des begehbaren „One Man House I“ steht, dem erscheint die Kunsthalle wie eine verkleinerte Kopie. Bis er zur Skulptur „Vater Staat“ (2010) hinüberblickt, deren monströses Altmännerhaupt den Besucher zum Winzling schrumpfen lässt.

Jede Umgebung formt ihre Sicht, die Wahrnehmung ist ein labiles Instrument. Schütte, der ewige Skeptiker, stellt seine Diagnose. Als Gegengift verabreicht er fortwährend neue Blickwinkel – und lässt seine Skulpturen erzählen, wie viele Standpunkte man (nahezu) zeitgleich einnehmen kann.

Kunst- und Ausstellungshalle des Bundes, Bonn, bis 1.11.; Katalog 39 Euro

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false