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Requisiten und Reliquien. Martin Scorsese (links, mit Bart) am Set von "New York, New York".

© Thilo Rückeis

Ausstellung über Martin Scorsese: Gewalt der Schönheit

Martin Scorsese gehört zu den bedeutendsten Regisseuren der Gegenwart. Jetzt zeigt das Berliner Filmmuseum die erste Ausstellung zu seinem Leben und Werk überhaupt.

Ein blutdurchtränktes Hemd hinter Glas, ausgestellt wie eine Reliquie. Ein leicht gruseliger Augenschmaus. Doch es ist Kunstblut, vom Besten!

Robert De Niro hat in seinen Verträgen stehen, dass er nach Drehschluss die Kostüme seiner Filme behalten darf. Als er als junger Schauspieler einmal das Kleid von Vivienne Leigh oder den Anzug von Clark Gable aus „Vom Winde verweht“ sah, dachte der künftige Star: Sowas muss man immer bewahren!

Und so sehen wir jetzt in Berlin jenes letzte Hemd, das De Niro als Exsträfling vor gut 20 Jahren in Martin Scorseses Thriller „Kap der Angst“ getragen hat. Oder die Boxershorts und Handschuhe, als De Niro, legendär und wieder bei seinem Lieblingsregisseur, 1980 in „Raging Bull“ der tanzende, taumelnde Faustkämpfer Jake La Motta war.

Die Anekdote über De Niro erzählt die Kuratorin und Filmhistorikern Kristina Jaspers. Zusammen mit ihrem Kollegen Nils Warnecke hat sie die ziemlich fabelhafte Ausstellung über Leben und Werk des amerikanischen Filmregisseurs Martin Scorsese gestaltet, die seit heute im Berliner Museum für Film und Fernsehen am Potsdamer Platz zu sehen ist.

Nicht nur für eingefleischte Cineasten, auch für das größere Publikum ist das eine Verführung ins künstliche Paradies. Ein Paradies freilich auch der Gewalt – alle haben ihre Unschuld verloren und sind nackt noch in ihren Roben: wie Cate Blanchett, die man sich in ihrer Oscar-preisgekrönten Rolle als Katherine Hepburn im gleichfalls ausgestellten Originalkostüm aus Scorseses „Aviator“ von 2004 vorstellen darf. Es sind Zeugnisse von gewalttätiger, gewaltiger Schönheit. Auch „Aviator“, ein Biopic über den Magnaten Howard Hughes, war eigentlich ein Männerfilm, über die Macht des Geldes, aber auch den Traum eines Filmtycoons. Der New Yorker Italoamerikaner Martin Scorsese wird immer zuerst mit Protagonisten wie De Niro, Nick Nolte, Willem Dafoe oder in neuerdings Leonardo DiCaprio assoziiert. Mit Filmepen über den mörderischen „Taxi Driver“, die „Good Fellas“ der Mafia, die „Gangs of New York“. Doch wie bei vielen große Romanautoren oder bildenden Künstlern schauen Scorseses Männerfantasien auch tief in Frauenseelen.

Scorsese war einer der animierenden Regisseure etwa von Ellen Burstyn (Titelheldin in „Alice lebt hier nicht mehr“), Liza Minelli („New York, New York“) oder eben Cate Blanchett. Und zuletzt in seiner 3-D-Fantasy „Hugo Cabret“ vereint und verspinnt er Generationen, Geschlechter und Zeiten in einem märchenhaften Traum von der Geburt des Kinos. In Berlin sind nun einige „Hugo“-Requisiten und Entwürfe zu bestaunen, auch eine kostbare, messingbeschlagene Kamera aus Paris von 1880.

Für den Jungen Marty aus Queens, der 1948 erstmals Fernsehen sah und kurz danach mit seiner Familie über den East River nach Downtown ins Little Italy von Manhattan zog, war der Film von früh an sein Traum – der Wirklichkeit werden sollte. In der Berliner Ausstellung hängt darum als vielleicht tollstes von knapp 600 Exponaten: ein vielfarbige Storyboard, das der 11-Jährige M.S. mit Buntstiften überaus akkurat sich ausgemalt hat für ein Römerdrama mit dem Titel „The Eternal City“. Schon da spielt er mit seinem Namen, nennt den groß gedachten Farbfilm im Vorspann eine „Maresco Production“, besetzt mit Richard Burton, Alec Guiness, Jack Hawkins und Virginia Mayo, „Directed and Produced by Martin Scorsese“. Fast alles schon da, auf dem Kinderpapier.

Ein Feuerwehrhelm aus Scorseses Film "Gangs of New York"
Ein Feuerwehrhelm aus Scorseses Film "Gangs of New York"

© Thilo Rückeis

Das Berliner Arsenal Kino zeigt bereits seit Dezember eine Retrospektive mit 22 seiner insgesamt rund 50 Filme. In der Ausstellung sind nun auf Bildschirmen Ausschnitte aus 32 Werken zu sehen, und im letzten Raum des Obergeschosses, in dem man den Rundgang beginnen sollte, eröffnet sich als Zwölfminutenloop auf vier Großleinwänden mit parallelen Gegenschnitten aus verschiedenen Scorsese-Filmen ein ikonographisches Panoptikum: eine Ästhetik des Schreckens, des großen Gefühls, der oft atemberaubenden Gesichter und Einstellungen – nicht zuletzt von Scorseses deutschem Kamerakünstler Michael Ballhaus.

Für Berlin hat der kürzlich 70 Jahre alt gewordene Meisterregisseur erstmals seine eigenen Archive geöffnet und viele Stücke seiner Kollektion aus dem New Yorker Produktionsbüro und sogar seiner Privatwohnung ausgeliehen. Ebenso wie die University of Texas in Austin oder die Hollywood-Academy mit Stiftungen von Robert De Niro; dazu Leihgaben etwa der New Yorker Fotografin Brigitte Lacombe, von Scorseses Stage Designer Dante Ferretti aus Rom und der bei der Eröffnung im Filmhaus anwesenden dreifachen Oscar-Gewinnerin Sandy Powell aus London, seit 2000 Scorseses Kostümbildnerin. Ihnen verdanken sich Requisiten, Fotos, Briefwechsel und vor allem Einblicke in Scorseses Storyboards, die akribisch jede Einstellung vorausplanen.

Der Vertragsbrief zu „Mean Streets“ vom 14. Juni 1972, Etat 300 000 Dollar, der Regisseur M. S. erhält 8000 Dollar plus 5 % vom Einspielgewinn. Später hatte Scorsese dann 100 Millionen-Etats. Oder Schreiben an ihn von Akira Kurosawa, Joseph Losey, Leni Riefenstahl (handschriftlich „a million thanks“) oder Volker Schlöndorff. Dazu ein Modell New Yorks mit den wichtigsten Drehorten – und: viel Musik. Von Bob Dylan bis zu den Rolling Stones, mit ihnen hat Scorsese immer wieder gedreht, er und die Stones eröffneten ja mit „Shine a Light“ 2008 die Berlinale.

Man sieht aber auch den politischen Künstler. Schon eingangs der Ausstellung scheint sich der junge Darsteller Peter Bernuth im frühen Kurzfilm „The Big Shave“ nur immerzu die Kehle aufzuschneiden, und das Blut läuft ins Spundloch des Waschbeckens: Scorsese zitiert seinen Lehrmeister Alfred Hitchcock („Psycho“) und nahm die Gewalt 1967 als Sinn(los)bild des Vietnamkriegs.

Jetzt konnte er nicht zur Ausstellungseröffnung nach Berlin kommen, weil der Hurricane „Sandy“ in New York den Abschluss seines Finanzkrise-Thrillers „The Wolfe On Wall Street“ mit Leonardo DiCaprio verzögerte. Er sandte dafür eine Videobotschaft aus seinem New Yorker Studio, den dort entliehenen Lieblingsexponaten hinterher.

Museum für Film und Fernsehen, Potsdamer Str. 2, bis 12. Mai, Di-So 10 - 18 Uhr (Donnerstag bis 20 Uhr)

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