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Selbstporträt mit Doppelperücke. „Covered“ von Anna Shteynshleyger.

© JMB

Ausstellung über Verschleierung im Jüdischen Museum: Unter der Haube

Die Ausstellung „Cherchez la femme“ beschäftigt sich mit der Symbolik religiöser Verhüllung. Sie offenbart abseits des männlich dominierten Blickes ein Panoptikum weiblichen Selbstausdrucks.

„Ich entscheide darüber, wer wie viel von mir sehen darf“, erklärt Rania im Video. Die muslimische YouTuberin trägt Hijab. Für sie ist er Ausdruck von Freiheit. In der öffentlichen Debatte gilt das Kopftuch dagegen vielen als Symbol par excellence für die Unterdrückung der Frau, für Rückständigkeit oder fehlenden Integrationswillen – und damit als öffentliche Provokation. Die Auswirkungen zeigten sich nicht zuletzt im Sommer 2016 in Nizza, als vier Polizisten eine muslimische Frau zwangen, am Strand Tunika und Kopftuch abzulegen.

Wie viel religiöse Sichtbarkeit verträgt eine säkulare Gesellschaft? Dieser Frage widmet sich das Jüdische Museum nun in der Ausstellung „Cherchez la femme“ und lässt dafür Frauen selbst zu Wort kommen: In einer Reihe von Skulpturen, Videoinstallationen und Fotografien behandeln jüdische und muslimische Künstlerinnen die vielfältigen Bedeutungsräume weiblicher Verhüllung.

Die Tradition der Verschleierung zieht sich durch alle monotheistischen Religionen. Daran erinnert die lange Reihe ausgestellter, teilweise wenig bekannter Kopfbedeckungen – von dem muslimischen Niqab und der Burka über den jüdischen „Scheitel“ (Perücke), „Tichel“ (Kopftuch) oder „Spitzel“ (Haube) bis hin zum christlichen „Mantilla“-Schleier aus Spitze. Wer vom Kopftuch spricht, denkt dennoch meist an den Islam.

Das Kopftuch ist zum Symbol der Angst geworden

„Ressentiments gegen den Islam werden durch den Terror gefördert“, glaubt Cilly Kugelmann, ehemalige Programmdirektorin des Jüdischen Museums, die die Ausstellung in Leben gerufen hat. Durch die Terroranschläge ist das Kopftuch für viele zum Symbol der Angst geworden. Die Folge sind Misstrauen, Beschimpfung und Ausgrenzung. In einem Videozusammenschnitt erzählen muslimische Frauen, warum sie sich für oder gegen die Verschleierung entschieden haben. Für die einen ist sie Ausdruck religiöser Identität, Stärkung des Selbstbewusstseins oder eine Tradition aus Respekt vor Gott. Andere Frauen halten das fünfmalige Beten am Tag für wichtiger oder betrachten das Kopftuch als überholtes Relikt.

Die Kopfbedeckung kann aber auch ein feministisches Statement sein: Die ausgestellte Kippa für Frauen der Firma „ook – out of Kippot“ erinnert daran, dass gerade im orthodoxen Judentum viele mit dem Glauben verbundene Tätigkeiten noch immer ausschließlich Männern vorbehalten sind. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat eine starke Frauenbewegung auch einen religiösen Feminismus entstehen lassen, der das ändern will: Jüdisch-orthodoxe Frauen kämpfen heute konsequent um Teilhabe an religiöser Bildung und liturgischen Ämtern.

Religiöse Verhüllung ist eine männliche Forderung

Innerhalb der jüngeren Generation gläubiger Frauen hat sich auch ein modischer Wandel vollzogen: „Cherchez la femme“ zeigt Mitschnitte der Modenschauen erfolgreicher muslimischer Designerinnen und Videos von „Hijabistas“ auf YouTube, die sich in ihren Clips Ratschläge zum Kopftuch-Styling geben. Junge Frauen aller Glaubensrichtungen wollen ihre religiöse Identität weiter nach außen tragen, dabei aber weniger strengen Regeln folgen und sich auch modisch stärker ausdrücken.

Seitdem die Verhüllung der Frau vor 3000 Jahren erstmals in einem assyrischen Gesetz aufgetaucht ist, sind es Männer, die die Regeln machen. Fünf Paar Männeraugen starren deshalb von großen Bildschirmen an der Wand auf den Besucher herab. „Die Diskussion um Verschleierung wird vom männlichen Blick getragen“, so Kugelmann. Die Ursprungsbegründung für die Verhüllung lautet in allen Religionen ähnlich: Es ist die Forderung an die Frau, Demut, Bescheidenheit und Zurückhaltung zu zeigen und den Mann nicht zu reizen oder gar zu verführen. Bei den Assyrern durften nur Ehefrauen den Schleier tragen. Prostituierten und Sklavinnen war es unter Strafe verboten – eine Einladung für Männer, sie ungestraft zu belästigen.

Ein Panoptikum weiblichen Selbstausdrucks

Mit der Frau als Objekt und Beute, aber auch mit der Furcht vor ihr setzen sich mehrere Werke auseinander, wie die verhüllte Frau in Form eines Schokoladentäfelchens der Iranerin Rozbeh Asmani oder die Skulptur der Künstlerin Mandana Moghaddam. In Anlehnung an ein persisches Märchen zeigt sie eine Frauensilhouette, von oben bis unten mit Haaren verhüllt. Die Frau selbst wird dahinter unsichtbar. Das Haar gilt in der jüdischen und muslimischen Glaubenswelt noch immer als zu intim für die Öffentlichkeit und steht hier für überwältigende weibliche Schönheit. Eine Erotik, der Männer angeblich so ausgeliefert sind, dass sie sich schützen müssen. Selbst der Glaskasten, der die Frau gefangen hält, kann ihrer Erotik keinen Einhalt gebieten. Ihre Haare kriechen unter den Scheiben hervor wie Kraken.

Ist die Frau Opfer einer patriarchalen Gesellschaft, wenn sie Schleier trägt, oder wenn sie Make-up auflegt und sich in Highheels zwängt? Auch diese Fragen stellt die Ausstellung mit der Arbeit der französischen Künstlerin „La Sauvage Jaune“. Ironisch kommentiert sie darin die erbarmungslose Bewertung weiblicher Kleidung vom „zu kurzen“ Rock bis zum „zu bedeckten“ Burkini. „Cherchez la femme“ zeigt, dass es mehr als eine Antwort gibt. Die Ausstellung ist ein Appell an das Zuhören und ein Panoptikum der vielfältigen Weisen, auf die Frauen auszudrücken versuchen, wer sie sind und woran sie glauben.

Jüdisches Museum, Lindenstr. 9–14, bis 2. 7.; Mo 10–22 Uhr, Di bis So 10–20 Uhr

Nina Raddy

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