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Ausstellung: "Unheimlich vertraut"

Manchmal schmerzt schon das Hinschauen: Bilder von Krieg und Terror in der Ausstellung "Unheimlich vertraut" in der Galerie c/o Berlin.

Ein maskierter Mann steht auf einem grauen Balkon. München, Olympia 1972. Das Bild erzählt nicht nur eine Geschichte, es ist als medialer Archetyp in das kollektive Gedächtnis der Weltöffentlichkeit eingegangen. Diese Aufnahme dient als Ausgangspunkt, um einen Bogen um die mediale Verwertung terroristischer Akte zu spannen. An Ende dieses Bogens stürzen die WTC-Türme zusammen. In München wurden Massenmedien zum Instrument der Terroristen, das sie mit dem Inferno von 9/11 perfekt zu spielen gelernt haben.

„Unheimlich vertraut“ in der Galerie c/o Berlin im Postfuhramt ist jenen Bildern auf der Spur, die durch mediale Dauerverwertung zu Ikonen wurden. Da Anschläge erst durch die Aufbereitung in den Medien ihre Wirkungsmacht entfalten, gibt es eine Interdependenz zwischen Tat und Bild. Doch wie entstehen diese Blaupausen, die unsere Ideen von Angst und Terror prägen – und sehen wir immer das, was wir zu sehen glauben?

Für viele Jahre waren RAF-Fahndungsplakate auf Litfasssäulen und in Postämtern ein Teil des westdeutschen Alltags. Die nüchterne Bildästhetik gehörte zu ihnen ebenso dazu wie die oft unscharf gezeichneten Gesichter der Gesuchten. Was nun, wenn man die Bilder der eigenen Freunde in gleicher Art und Weise präsentiert? Oder die Aufnahmen von Agenten, Massenmördern und Terroristen durcheinander mischt. Die Ausstellung fordert die eigene Wahrnehmung heraus, den Raum zwischen ihr und der Realität müssen die Besucher selbst ermessen.

„Unheimlich vertraut“ könnte wie eine Auswahl der prägnantesten Bilder aus den jährlichen World-Press-Foto-Ausstellungen wirken, wenn die von Kurator Felix Hoffmann ausgewählten Arbeiten nicht immer wieder den medialen Rahmen verlassen würden. So präsentiert Thomas Hirschhorn auf einem vier Meter hohen und 18 Meter langen „Incommensurable banner“ enthauptete Menschen, durch Granatensplitter zerfetzte Gesichter, Kinderleichen. Bilder, die für den täglichen Mediengebrauch untauglich, weil sie zu heftig und direkt sind, Ausgestoßene aus dem Nachrichtenfluss.

Wenige Meter vor dem Banner zeigt ein Fernseher Aufnahmen von brennenden Flaggen westlicher Nationen in der arabischen Welt, in rasender Geschwindigkeit ineinander geschnitten. Betrachtet man das Banner und die Bilderflut zusammen, ist das Leiden total, es hat etwas von Gehirnwäsche. Schwache Nerven könnten angesichts dieser Verdichtung von Angst und Geschichte übermäßig belastet werden. Denn der Schrecken erfasst den Betrachter hier sogar synästhetisch, zu den Stand- und Bewegtbildern kommen in Dauerschleife die hektischen Schreie von CNN-Reportern beim Anblick der einstürzenden Zwillingstürme.

Einen Kontrast bildet die „At War“ genannte Schau der deutschen Fotoreporterin Anja Niedringhaus, die in die Ausstellung integriert ist. Afghanistan und Irak statt München und New York, Steppe, nicht Stadt. Doch es ist vor allem Grauen, das sich auf den Bildern von Niedringhaus woanders versteckt. „Wenn ich es nicht fotografiere, wird es nicht bekannt“, ist der Leitspruch ihrer Ausstellung, der Feind ist allgegenwärtig in angespannten Gesichtern von afghanischen Bauern und alliieren Soldaten. Gewehre werden fest umklammert, Bauern gemustert, Frauen mit Kindern auf dem Arm durchsucht.

Die Bilder von Niedringhaus entstanden im Auftrag der Agentur Associated Press, für die sie seit 2002 weltweit Kriegsgebiete bereist. 2005 wurde die Fotografin mit dem Pulitzerpreis in der Kategorie „breaking news“ ausgezeichnet, sie interessiert sich vor allem für Ereignisse fernab der Frontlinien, die eine vom Krieg bestimmte Lebensrealität zeigen. Nicht nur jene der Zivilbevölkerung, sondern auch der Soldaten. Während in den Straßen Bagdads geschossen wird, dürfen sich einige von ihnen über einen von George W. Bush servierten Truthahn freuen, wie beim letzten Abendmahl reicht der Kriegsprophet Bush seinen Jüngern das Mahl.

Weit draußen, in Afghanistan, wirken die westlichen Kämpfer angesichts der staubigen Dörfer am Hindukusch wie Außerirdische. Niedringhaus ist so nah dran, dass mit ihr auch der Betrachter emotional „embedded“ wird. Sie zeigt nüchtern und in Schwarz-Weiß die Konsequenzen, die aus den unheimlich vertrauten Ereignissen und den sie konstituierenden Bildern hervorgehen.

„Unheimlich vertraut“ und „At War“. c/o Berlin, bis 4. Dezember im Postfuhramt, Oranienburger Straße 35/36. tgl. 11–20 Uhr.

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