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„Kosmonautenporträt“ von Halil Altindere (2016).

© n.b.k., Halil Altindere

Ausstellung von Halil Altindere: Emigration per Marsmobil

Im Neuen Berliner Kunstverein macht der kurdische Künstler Halil Altindere ironische Vorschläge zur Flüchtlingsfrage. Warum nicht einfach alle auf den Mars schicken?

Als sich vor vier, fünf Jahren abzeichnete, dass sich die politische Lage in der Türkei zuspitzen würde, wurde auch der Ton in seinem Werk wieder rauer. Halil Altindere, ein eher zierlicher Mann, der stets zurückhaltend auftritt, sich nie zu einer scharfen Formulierung hinreißen lässt, hat zuletzt wütende Rapper auftreten lassen. In seinem Video „Wonderland“ reimen drei Gypsy-Hip-Hopper über die steigenden Mieten in ihrem Istanbuler Viertel und treten zum Schluss auf einen am Boden liegenden Polizisten ein. Und in „Homeland“, das gerade auf der Berlin Biennale läuft, hechtet der Rapper Mohammad Abu Hajar über die türkisch-syrische Grenze und gelangt binnen zehn Minuten über Zäune und Minenfelder Salto schlagend bis zum Flughafen Tempelhof. So mancher findet’s zynisch.

Doch ein Zyniker ist Halil Altindere nicht. „Einige EU-Staaten sind sehr streng mit ihrer Flüchtlings- und Grenzpolitik“, mailt er aus Istanbul in dem ihm eigenen diplomatischen Tonfall. „Die Menschen versuchen um der Zukunft ihrer Kinder wegen, in das Zentrum von Zivilisation und Demokratie zu immigrieren. Aber wenn sie merken, dass sie nicht willkommen sind, ist das für sie die größte Enttäuschung.“ Der 1971 im kurdischen Mardin geborene Künstler setzt gerne schwarzen Humor ein, um Blicke aus ungewohnten Perspektiven auf politische und soziale Krisen zu ermöglichen. So auch in seiner Ausstellung im Neuen Berliner Kunstverein. Wieder geht es um Emigranten. Wenn Europa sie nicht haben will, so Altindere, dann soll es sie auf den Mars schicken. Zur Erläuterung der grotesken Idee zeigt er einen Virtual-Reality-Film über den roten Planeten, eine Abteilung ist dem syrischen Kosmonauten Muhammed Ahmed Faris gewidmet, der in der Raumstation Mir mitflog und heute im türkischen Exil lebt.

Macht und Ohnmacht, Emanzipation und Machokultur sind Altinderes Themen

In „Space Refugee“, so der Titel von Altinderes Schau im Kunstverein, sind außerdem ein Marsmobil, Raumfahrtanzüge sowie gemalte Porträts zu sehen. Trotz dieser Fülle ist dies nur ein Bruchteil der Genres und Materialien, mit denen der Künstler seit 20 Jahren seine Themen versinnbildlicht: Macht und Ohnmacht, Tradition, Frauenemanzipation und Machokultur. Altindere hat den ersten Band von Karl Marx’ „Kapital“ ausgehöhlt und eine Pistole hineingelegt, türkische Ausweise und Geldscheine manipuliert, hat eine Bank überfallen, um aus der Schalterhalle ein Gemälde zu stehlen. Präsident Recep Tayyip Erdogan ließ er malen, wie er eine Stellung des türkischen Militärs besucht. Die Soldaten sind vermutlich gegen kurdische Einheiten im Einsatz. Außerdem ist Altindere Kurator sowie Herausgeber von Büchern und der Zeitschrift „art-ist“. „Kaum ein anderer Künstler hat seit der Jahrhundertwende so viel fruchtbare Unruhe in die zeitgenössische türkische Kunstszene getragen wie Halil Altindere“, schrieb René Block über ihn. Der Berliner Sammler und Kurator holte ihn bereits 2003 in seine Ausstellung „In den Schluchten des Balkan“ ins Fridericianum nach Kassel.

Seine Bilder haben Humor und Pathos zugleich

Seine stärksten Bilder aber hat Altindere mit den Filmen und Fotos seiner „Mesopotamien-Trilogie“ geschaffen: atemberaubende Aufnahmen aus dem Südosten der Türkei, wo der Bau des Ilisu-Staudamms Kulturerbe bedroht und ökopolitische Konflikte verschärft. Altindere filmte Bauern, die in der Schaufel eines Baggers beten, Geschäftsmänner, die auf Segway-Rollern durch die Wüste brausen. Ein Anzugträger surft auf einem Bügelbrett über einen See, eine traditionell gekleidete Mutter, die madonnengleich ein nacktes Kind auf dem Arm trägt, zielt mit einer Pistole auf die Kamera.

Als seine Vorbilder nennt Altindere den türkischen Konzeptkünstler Sarkis, den russischen Aktionskünstler Alexander Brener, ferner Gülsün Karamustafa, der gerade im Hamburger Bahnhof eine Ausstellung gewidmet wird. Der Humor, der das Pathos seiner Bilder bricht, erinnert wiederum an die slowenische Gruppe Irwin. Tatsächlich widmete Altindere einst ein Bild dem aus dem ehemaligen Jugoslawien stammenden Konzeptkünstler Mladen Stilinovik, von dem der legendäre Satz stammt: „Ein Künstler, der kein Englisch kann, ist kein Künstler“. Dahinter verbirgt sich eine postsozialistische Kritik an der westlichen Dominanz in der Kunstwelt. Halil Altindere aber widerlegt Stilinovik bei seinen Auftritten jedes Mal auf Neue, wenn er seine Worte vom Türkischen ins Englische übersetzen lässt.

n.b.k., Chausseestr. 128/129, 15. September bis 6. November, Di/ Mi 12–18 Uhr, Do 12–20, Fr–So 12–18 Uhr.

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