zum Hauptinhalt

Ausstellung "Wien Berlin": Triumph des Ornaments

Die Wiener Secession arbeitete mit Arabesken, Mystik und Symbolen gegen die Folgen der Industrialisierung.

Adolf Loos zählt zu den intellektuellen Köpfen, die Wien im späten 19. Jahrhundert prägten. Seine winzige Bar im Ersten Bezirk, die der Architekt ab 1893 in Holz, Messing und Onyx gestaltete, gilt als beispielhaft für die architektonische Moderne und steht längst unter Denkmalschutz. Anders verhält es sich mit seiner Streitschrift „Ornament und Verbrechen“, die 1908 erschien, auf prophetische Weise in die Zukunft blickte und immer noch für Widerspruch sorgt. „Bald werden die straßen der städte wie weiße mauern glänzen“, heißt es da. Denn: „wir haben das ornament überwunden, wir haben uns zur ornamentslosigkeit durchgerungen.“ So frohlockte Loos, dem jeder Schnörkel zuviel und zuwider war. Und das in Wien! Wo die Architektur im Überfluss des Funktionslosen schwelgt und ein Künstler wie Gustav Klimt zur selben Zeit, in der Loos gegen das Ornament klagte, seine Sujets fast vollständig aus dem Ornamentalen entwickelte.

Vielleicht musste Loos sich deshalb um so heftiger distanzieren. Es war ein Versuch, den Geschmack der Zeit auszuhebeln. Mit dem erfolgreichen Experiment der Wiener Werkstätte, die Dinge des Gebrauchs ästhetisch zu gestalten, um Kunst und Alltag miteinander zu versöhnen, konnte er ebenso wenig anfangen wie mit der floralen Sprache des Jugendstils und damit der Wiener Secession. Dabei hatten sich ihre Mitglieder – neben Klimt auch Koloman Moser oder Josef Engelhart – ebenfalls von der Tradition der Kunstakademie abgespalten und erprobten neue Ausdrucksformen, weil ihnen die fortschreitende Industrialisierung mit einer kulturellen Verarmung einherzugehen schien. Viele Künstler der Zeit fürchteten, die Moderne würde der Wirklichkeit jedes Geheimnis rauben, sie gleichsam völlig entkleiden – und arbeiteten mit Arabesken, Mystik und Symbolen dagegen an. Nicht aber Loos, der eine kalte, klare Zukunft herbeisehnte: „evolution der kultur ist gleichbedeutend mit dem entfernen des ornamentes.“

Dass Klimt, der junge Künstler wie Egon Schiele oder Oskar Kokoschka förderte, im eigenen Werk die Oberfläche feiert, sich immer wieder in Goldglanz und erstarrten Posen verliert und dennoch als Erneuerer der Kunst gilt, ist kein Widerspruch. Sein Stil, nicht zuletzt das Resultat einer kunsthandwerklichen Ausbildung, verbindet dekorative Malerei, Natursymbole, florale und geometrische Formen auf einzigartige Weise ästhetisch neu. Als das Porträt der „Johanna Staude“ um 1917 entstand, hatte er sich allerdings schon aus der Öffentlichkeit zurückgezogen – nach einem Skandal um einen universitären Auftrag 1905 – und malte bloß noch für das liberale Großbürgertum. Auf dem Bildnis wirkt der flächig und farbig gemusterte Stoff, der natürlich der Wiener Werkstätte entsprungen ist, nicht weniger wichtig als das Gesicht des weiblichen Modells, das den Betrachter frontal anschaut. Den Hintergrund gestaltet der Maler neutral und lenkt kaum ab von der einfachen, strengen Komposition, die sich von seinem sonst eher symbolhaften, allegorischen Spätwerk unterscheidet. Was beides verbindet, ist die kühne Verschmelzung von menschlicher Gestalt und dekorativem Ornament, die Verzahnung von Raum, Leib und Fläche.

Mit der Postmoderne kam das Ornament zurück

Die Bluse von Johanna Staude aus der Wiener Werkstätte, um 1910. Belvedere, Wien. Stoffentwurf Blätter von Martha Alber, Seide
Die Bluse von Johanna Staude aus der Wiener Werkstätte, um 1910. Belvedere, Wien. Stoffentwurf Blätter von Martha Alber, Seide

© Belvedere, Wien

„Johanna Staude“ gehört der Sammlung des Wiener Belvedere, die mit zwei Dutzend Bildern über die weltweit größte Klimt-Kollektion von Ölgemälden verfügt. In der Orangerie des Schlosses war 2009 auch die Ausstellung „Die Macht des Ornaments“ zu sehen, die fast ein Jahrhundert nach Loos' Polemik und in einer Reihe mit zahlreichen anderen Initiativen auf einer Rehabilitierung des funktionsfreien Musters pochte. Tatsächlich hat Loos, ebenso wie die kompromisslose Haltung etwa der nach ihm folgenden Bauhaus-Architekten, das Ornament lange aus Architektur und bildender Kunst verbannt. Erst mit der Postmoderne schlich es sich wieder ein, feierte den Überfluss, machte auf seine lange Geschichte bis in prähistorische Kulturen aufmerksam und vergaß auch die Renaissance in der zeitgenössischen Kunst nicht.

Im ornamentfreien White Cube – ebenfalls eine Erfindung aus den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts – entfaltete es seine Schönheit, zog den Blick auf sich und enthüllte kritisches Potenzial. Das Muster besitzt schließlich kein Zentrum und widerspricht allein deshalb dem gelenkten Blick in der Kunst seit Erfindung der Zentralperspektive. „Die Macht des Ornaments“ schlug zeitlich den Bogen von 1900 mit Klimts „Wasserschlangen“ bis in die Gegenwart zu Künstlerinnen wie Adriana Czerni, deren Frauenkörper auf großen Zeichnungen von floralen Mustern begleitet werden. Niemand würde hier mehr auf die Idee kommen, dass Czerni mit einem Verbrecher kollaboriert, vor dem es Loos derart graute, dass er seinerzeit um ganz Österreich fürchtete: „... es begeht ein verbrechen dadurch, daß es den menschen schwer an der gesundheit, am nationalvermögen und also in seiner kulturellen entwicklung schädigt.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false